Zwischen den Zeilen
Schreibblock, Zeitungsartikel, ungeöffnete Briefumschläge. Der Rand seines Monitors ist voller Post-its in grellen Farben. Manche hängen wohl schon lange da, denn sie sind blau und der Block auf seinem Schreibtisch hat keine blauen. Andere sind neu, oben ist pink… und ein bisschen passt es zu ihm. Zu diesem latenten Chaos, das ihn begleitet. Ein bisschen ist dieser Schreibtisch einfach so wie er. Wie ein bunter Strauß aus Sommerblumen: üppig, chaotisch, fröhlich. Wie das Leben. Dahlien, Sommerastern, Margeriten, Blauer Junge und… Mädchenaugen.
Und wenn es nicht wäre, wie es ist, würde ich jetzt vermutlich darin wühlen. Um all die Dinge zu erfahren, die ich gerne von ihm wissen will. Und ein bisschen an dem teilzuhaben, was er ist. Aber ich tue es nicht.
***
»Oh, auch schon da?«, begrüßt mich Daniel gut gelaunt, als ich eine halbe Stunde später den Laden betrete. Eigentlich wollte ich heute Früh mit ihm zum Großmarkt kommen.
Ich bin gerne dort. Man kennt sich. Ich glaube, in ganz Hamburg gibt es keinen einzigen Floristen, der nicht schwul ist. Mit einigen ist Daniel auch befreundet. Deshalb hatte niemand mehr Blumen auf dem Grab als Gerd. Ehrliche Blumen. Ich glaube, es gab nur einen Laden, der keine geschickt hat. Und das war dieser Discounter in der Passage. Den nimmt sowieso keiner ernst.
Uns nehmen sie ernst. Mich. Wir sind die Jungs vom Blattgold , an denen man sich orientiert. Ich bin derjenige. Ben, der kreative Kopf, der immer als Erster die abgefahrenen Sachen macht. Der einfach ein Händchen dafür hat. Dieses Talent, das sie einem nicht auf einer Berufsschule beibringen, auf der ich nie gewesen bin. Ich bin gar kein Florist. Jedenfalls kein richtiger. Meinen Job im Laden verdanke ich Kerstin, meiner Schwägerin. Es war ihre Idee, dass ich aus dem Kaff von meiner Oma zu ihr und Andi nach Hamburg ziehe, als ich die Schule endlich hinter mir hatte. Ich glaube, sie wussten nicht so recht, wohin mit mir, also hat sie mich bei Daniel untergebracht. Er ist der Cousin ihres Stiefvaters. Oder irgendwie so. Verwandtschaft jedenfalls. Zunächst hab ich dort nur ausgeholfen. Blumen geschnitten, Wasser gewechselt, den Binderaum in Ordnung gehalten und was eben so anfällt. Daniel und Gerd waren nett zu mir und ich mochte es, eine Aufgabe zu haben. Etwas zu tun, was nützlich war und worüber niemand gelacht hat. Dass ich bin, wie ich bin, hat dabei keine Rolle gespielt. Daniel hat mich einfach machen lassen. Zunächst nur aus Blumen, die man sowieso nicht mehr verkaufen konnte. Später dann auch aus den frischen. Ist eine Ewigkeit her, aber ich bin ihm immer noch verdammt dankbar dafür. Und für all die Dinge, die er für mich tut, um es mir ein wenig leichter zu machen. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen sollte. Wo ich heute wäre ohne ihn.
Daniel hat angeboten, dass ich eine Ausbildung machen kann. Hat mir versprochen, mir zu helfen und dass ich die Berufsschule irgendwie schon schaffe. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte nicht schon wieder der Idiot sein. Also hab ich einfach gearbeitet. Ohne Schule, ohne Ausbildung. Und ich glaube, wenn ich mich heute mit Daniel überwerfen würde, könnte ich mittlerweile wohl trotzdem so ziemlich in jedem Blumenladen in Hamburg anfangen.
»Sorry, ich war unterwegs«, brumme ich und tätschle Marlene, die mich gehört hat und mir entgegengekommen ist, den Kopf. Sie wedelt mit dem Schwanz, bellt leise zur Begrüßung und stippt mit der Schnauze in meine Seite.
»Na, riecht unser Ben nach einem anderen Kerl?«, fragt Daniel eigentlich mehr mich als sie und grinst.
»Ich geh eben hoch und ziehe mich um«, murmle ich, ohne seinem Kommentar Beachtung zu schenken. Auch wenn ich wohl kaum leugnen kann, dass ich heute Nacht nicht zu Hause gewesen bin.
»Mach das. Du hättest dich mal melden können. Ich hab ewig geklingelt, weil ich dachte, wir wollten zum Großmarkt.«
»Sorry«, sage ich entschuldigend. »Ich komm morgen wieder mit. Versprochen.« Ich hoffe, sie haben Mädchenaugen.
»Verstehe. Ist es ein gutes oder ein schlechtes Ich will nicht drüber reden ?«
»Weiß ich noch nicht«, brumme ich, gehe an ihm vorbei nach hinten und steige die beiden Stufen nach oben, um ins Treppenhaus und meine Wohnung zu gelangen. Vielleicht sage ich ihm nachher, dass wir miteinander geschlafen haben. Und dass ich mir wünschen würde, dass es ein gutes Ich will nicht drüber reden ist.
»Sorry«, sage ich noch mal, als ich mich wenig später wieder in
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