Zwischen den Zeilen
den Verkaufsraum schiebe. Ich hab geduscht und mich umgezogen. Auch wenn ich es ein bisschen bereue, den Geruch seiner Haut an meiner weggewaschen zu haben. Aber wir sehen uns morgen wieder und der Gedanke daran macht ein zufriedenes Gefühl in mir drin…
Ich muss an die letzte Nacht denken. Und an heute Morgen. An seine komische Theorie mit dem Ringfinger. Eigentlich ist es total lächerlich. Aber ich mochte es, als er gesagt hat, er sei, wenn man nach seinen Fingern geht, eigentlich ein Mädchen. Ich glaube, ich bring ihm wirklich Mädchenaugen mit. Denn die sind, zusammen mit der Tatsache, dass er ohne Punkt und Komma redet, wirklich das Einzige, was diese Theorie unterstützt. Er hat echt verdammt lange Wimpern.
Der Rest ist ein ziemlich attraktiver Kerl. Mit einem tollen Hintern, diesem vielleicht ein bisschen zu dünnen Oberkörper, den ich wahnsinnig sexy finde, diesen Ringen in seinen Nippeln, dem Stab in der Zunge und dem Piercing, das er an der Unterlippe trägt. Ich mag sein Gesicht. Mag's, wenn er lachend seinen Kopf irgendwo an meiner Schulter vergräbt. Mag seine Hände in meinem Haar, sein Stöhnen und seinen entrückten Ausdruck, wenn er kommt. Ich mag's wie er sich anfühlt, tief drin, seine Enge, wenn er sich bewegt unter mir und ein endorphinschwerer Film salzig seinen Körper überzieht. Liebe seinen Geschmack, seine Zunge, seine Küsse überall auf meiner Haut. Seine Finger, die sich zwischen meine legen und seinen ruhigen Atem, wenn er eingeschlafen ist an meiner Brust. Das mit ihm fühlt sich perfekt an. Perfekt, bis auf dieses winzig kleine Detail.
Ich weiß nicht, wie oft ich sie verflucht habe. Diese Buchstaben, die mich von ihm trennen. Von der Welt, in der ich irgendwie versuche zurechtzukommen und in der er zusammen mit all den anderen lebt. In der kein Platz ist für Verlierer... und Leute wie mich.
»Was liegt an?«, frage ich mit betonter Lässigkeit und inspiziere die frischen Blumen, die Daniel heute früh vom Großmarkt mitgebracht hat.
»Nichts, die erste Welle ist vorbei«, sagt Daniel.
»Ich kann die Poller machen«, biete ich an und ziehe eine Rose, die in den frischen Bund gerutscht ist und deren äußere Blätter sich am Rand bereits bräunlich färben, aus dem Eimer.
»Könntest du. Aber keine Sorge, du musst nicht fliehen. Ich frag dich schon nicht nach ihm.«
»So meinte ich das gar nicht«, entgegne ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ist es dein Journalist?«, fragt er natürlich prompt.
Ich nicke.
»Dann nehme ich mal an, ihr hattet einen schönen Abend.« Er lächelt.
»Sorry, ich hatte nicht vor, über Nacht zu bleiben«, erkläre ich. Hatte ich wirklich nicht. Auch wenn ich es gehofft hatte.
»Oh doch, hattest du«, sagt er. »Du hattest dein Aufreißer-T-Shirt an.« Er lächelt immer noch. Milde… und nachsichtig. Das ist eben Daniel.
»Er fand mich ohne Shirt entschieden besser.«
»Soso.«
Ich seufze, bücke mich zu einem der Kübel und arrangiere die darin stehenden Ranunkeln. »Sag mal, hatten sie Mädchenaugen auf dem Großmarkt?«, will ich dann wissen.
»Mädchenaugen? Wozu willst du denn die?«
»Nur so«, sage ich. »Dachte, Feldblumen wären vielleicht mal was anderes. Ich könnte die Kübel draußen mit Wiesenblumen arrangieren.«
***
»Seht ihr euch wieder?«, fragt Daniel ziemlich unvermittelt, als ich die Kassenschublade schließe und die Kundin mit den Blumen den Laden verlassen hat. Es ist Nachmittag. Ich hab den Verkaufsraum fast komplett umdekoriert. Er ist bunt und fröhlich und ein bisschen chaotisch. Auf der Anrichte stehen Flaschen mit einzelnen Gerbera.
»Morgen«, bestätige ich. »Wir wollten ein bisschen rausfahren… Picknick und so.«
»Oh… verstehe.«
»Keine Ahnung… Er fand den Wagen cool.«
»Gerd und ich sind früher oft raus ins Alte Land gefahren«, sagt Daniel versonnen. »Mit einem Picknickkorb, einer Flasche Wein… war romantisch.« Ein Hauch von Wehmut schwingt in seiner Stimme.
»Vielleicht solltest du auch mal wieder ausgehen«, sage ich vorsichtig.
»Nein«, entgegnet er und schüttelt den Kopf, bevor er den Blumendraht, mit dem er die Rosen, bindet abzwickt. »Große Lieben gibt es nur einmal, Ben. Sie dauern für immer. Und für ein bisschen Ficken bin ich zu alt. Mein Arsch ist faltig und ich kriege Hängebrüste.«
»Kriegst du nicht«, widerspreche ich. Ich finde wirklich, dass er übertreibt. Er wird nächstes Jahr erst achtundfünfzig. Und natürlich sieht er nicht
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