Zwischen den Zeilen
nicht tun. Ich war alleine an den Nachmittagen und niemand hat meine Hausaufgaben kontrolliert. Und ich glaube, irgendwie fand ich es auch nicht so wichtig. Ich fand es viel wichtiger zu verstehen, wieso mein Vater einfach tot war und meine Mutter bei geschlossenem Rollladen den ganzen Tag auf dem Bett gelegen hat. Beides hab ich nie rausgefunden. Vielleicht war ich auch dazu zu blöd. Für die Schule war ich's. Allzu viel ist nicht hängen geblieben. Als es anfing mit Noten und Diktaten, hatte ich immer eine Sechs.
In Mathe war ich besser, Zahlen waren irgendwie nicht so schlimm. Sind sie immer noch nicht. Ich kenne alle Münzen und Geldscheine und die Tagespreise im Laden. Ich kann Telefonnummern wählen und meine aufschreiben, auch wenn meine Schrift nicht besonders schön ist.
Den Rest, den man zum Leben braucht, kann ich auswendig. Man kann ziemlich viel auswendig lernen, wenn man darauf angewiesen ist. Ich hab die theoretische Führerscheinprüfung beim ersten Mal bestanden. Daniel hat mir geholfen, es sind viele Bilder, die Fragen wiederholen sich und die Kreuze müssen immer an die gleiche Stelle. Eigentlich war es nicht mal besonders schwer.
Als in der Schule dann Textaufgaben kamen, wurde ich auch in Mathe schlecht. Ein paar Monate später war ich auf der Sonderschule. Da hat wenigstens niemand mehr über mich gelacht. Dafür hatten sie Mitleid. Im Ort hat man getuschelt und ich wurde jeden Tag vom Idioten-Bus abgeholt. Aber das Schlimmste war wohl, dass sie es mir da auch nicht richtig beigebracht haben. Ich war eben Ben, der Idiot, aus dem sowieso nichts wird.
Meine Mutter hatte einfach ein anderes Problem, als sich um meine Schule zu kümmern. Irgendwann lag sie im Schlafzimmer und hat nicht mehr geatmet. Und ich hab gewartet, bis Andi kam, aber sie ist auch dann nicht aufgewacht. Sie war einfach weg und ich dachte, sie hätte vergessen mich mitzunehmen. Die Kinderpsychologin, bei der ich wegen meiner auffallenden Aggressivität gelandet bin, meinte, ich sei nicht dümmer als andere Kinder. Daniel sagt, in ihrem Bericht steht was von Lese-Rechtschreib-Schwäche und Autoaggression. Geändert hat das allerdings nichts. Ich kam nicht wieder runter von der Sonderschule. Das kommt man nie. Vermutlich war irgendwie einfach keiner zuständig.
Keine Ahnung… Ich hab's aufgegeben, drüber nachzudenken. Und ich sollte aufhören, hier rumzuheulen. Es ist lange her. Außerdem ändert es nichts daran, dass es eben ist, wie es ist.
Ich kann's einfach nicht. Meinen Namen zu schreiben und meine Adresse, das bekomme ich hin. Aber Lesen kann ich nicht besonders gut. Ehrlich gesagt, kann ich's eigentlich überhaupt nicht...
Noch-nicht-Beziehung
Josh
Ich bin pünktlich. Na ja, jedenfalls fast. Schließlich ist es erst drei Minuten nach vier. Um vier waren wir verabredet, aber ich wurde aufgehalten. Vom Spiegel im Schaufenster des kleinen Antiquitätenladens ein paar Häuser weiter. Ich musste die Gelegenheit nutzen und sehen, ob meine Haare noch sitzen. Schließlich ist es unser erstes Treffen danach .
Hastig gehe ich am Laden vorbei und ziehe an meiner Kippe. Ich weiß, ich wollte aufhören. Aber nicht heute… Außerdem sind es immer noch die Gauloises , ich bin also auf einem ziemlich guten Weg.
Aus dem Augenwinkel nehme ich die frische Pollerdekoration aus Blumen wahr. Und ich mag den Gedanken, dass er sie dahin gebunden hat. Mein Blick gleitet über die Auslage und das üppig dekorierte Schaufenster. Bunte Farben, passend zu den ersten wärmeren Frühlingstagen. Er hat echt ein Händchen dafür. Und ich hab plötzlich eine ganze Menge für Blumen übrig. Und für seine Hände.
Er hat schöne Hände. Ich kann's kaum erwarten, sie wieder auf meiner Haut zu spüren. Ich bin echt ein Mädchen – ein ziemlich verknalltes. Mit Herzklopfen... und offensichtlich einem fetten Verliebt -Stempel auf der Stirn. Ich war heute früh noch nicht mal richtig im Büro, als Claude mir schon in seiner bekannt charmanten Art mitgeteilt hat, dass ich ziemlich durchgevögelt aussehe. Natürlich hab ich dem mit einem Schön wär's vehement widersprochen. Ich bin niemand, der mit seinen Eroberungen prahlt. Und bei einem prüfenden Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken auf der Herrentoilette fand ich eigentlich, dass ich wie immer aussehe. Sicherheitshalber wollte ich mich noch ins Weiberklo schleichen, denn die haben einen Ganzkörperspiegel.
Dummerweise bin ich vor den Toiletten dann Frau Dr.
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