Zwischen den Zeilen
sollte ich mich nicht zu sehr der Illusion hingeben, dass ein Kerl wie Ben keinen Haken hat. Denn dafür sieht er entschieden zu gut aus. Entweder ist er also ein Arsch und ich hab's bisher nicht bemerkt oder sonst irgendwas stimmt nicht mit ihm. Und damit meine ich nicht, dass er auf St. Pauli steht.
Wir hatten das kurz geklärt, vorhin am Telefon. Ich glaube, es war das vor drei Stunden, bei dem er mich gefragt hat, was ich am Wochenende mache. Ich wollte eigentlich mal wieder ins Stadion gehen, aber so, wie sie im Moment spielen, lass ich's besser. Ich bringe ihnen bei persönlicher Anwesenheit sowieso kein Glück. Meistens verlieren sie, wenn ich da bin. Und wenn ich ihm stattdessen ein Pauli-Shirt vom Leib reiße und es unwiederbringlich zerstöre, ist das ja irgendwie auch Fan-Arbeit.
St. Pauli... Ich vögle mit dem Feind, sozusagen. Aber er meinte, dass er sich eigentlich nicht sonderlich für Fußball interessiert. Vielleicht besteht also Hoffnung und ich kann ihn umerziehen. Denn ich bin HSV-Fan. Und zwar eingefleischter. Wenn man davon ausgeht, dass der normale Fan, der sich Spiele ansieht und sich moderat darüber aufregt, wenn sie verlieren, Fankategorie C ist, bin ich mindestens Kategorie B. Mit Schal, Aschenbecher, Kapuzenpullover und ein paar heimlichen Tränen, wenn sie gegen irgendeine Mannschaft, von der man noch nie was gehört hat, rausfliegen aus dem UEFA -Pokal.
Als Kind war ich sogar Kategorie A, mit Postern an den Wänden und entsprechender Bettwäsche. Die hab ich eigentlich immer noch, ich hab sie sogar mitgenommen, als ich zu Hause ausgezogen bin. Aber sie ist nur noch ein Relikt irgendwo ganz unten im Schrank. Meistens jedenfalls.
»Oben«, antwortet Daniel, nicht sonderlich verwundert darüber, dass ich nach Ben frage. Gott sei Dank bedeutet er dem Hund, der, wie ich weiß, eigentlich eine sie ist, sich zu trollen und er, also sie , leistet dieser Aufforderung Folge und verschwindet durch die halb offene Tür hinter dem Verkaufstresen, ohne sich weiter für mich zu interessieren. Wahrscheinlich hatte sie ausreichend zu Mittag und ihr ist nicht nach Nachtisch.
»Weil, also... wir waren verabredet«, stottere ich ein bisschen dämlich und versuche auf seinem Gesicht eine Reaktion zu erhaschen. Aber es gibt keine. Jedenfalls keine, die in irgendeiner Form darauf hinweist, dass er ein Problem damit hat oder nichts von unserer Verabredung weiß. Wobei eine Verabredung ja nicht zwangsläufig bedeutet, dass wir in der Kiste gelandet sind. Vielleicht weiß er einfach nur das nicht. Denn ich kann mir, realistisch betrachtet, ehrlich gesagt nur schwer vorstellen, dass zwischen den beiden nichts läuft. Vielleicht ist es wirklich eine offene Beziehung und Ben kann es nebenher halten und treiben, wie er will. Denn ein bisschen wirkt Daniel gradezu angestrengt so, als würde ich ihn nicht sonderlich interessieren.
Ich sehe ihm dabei zu, wie er die Schere hinter sich auf die Ablage legt und mustere ihn. Ich schätze ihn auf ungefähr fünfzig. Er ist schlank und früher war er vermutlich ziemlich attraktiv. Ist er, nüchtern betrachtet, dummerweise eigentlich immer noch. Er ist nur einfach viel älter als Ben. Eine alte Zehn sozusagen. Aber immer noch eine Zehn. Sein Haar ist grau, ein bisschen wie das von George Clooney, seine Augen sind haselnussbraun und seine sonnengebräunte Haut ist voller Sommersprossen.
***
»Hey!«
»Hi, ich… bin zu spät«, stammle ich dämlich, als Ben sich mit einem Picknickkorb in der einen und einer zusammengerollten Decke in der anderen Hand wenig später durch die Tür hinter dem Tresen in den Verkaufsraum schiebt.
Daniel hat zwar angeboten, dass ich durch den Laden ins Treppenhaus gehen soll und was von zweiter Stock gemurmelt, aber das war mir, in Anbetracht der Tatsache, dass der Hund sich vielleicht da irgendwo rumtreibt, nicht wirklich geheuer. Also hab ich beschlossen, im Laden zu warten. Auch wenn ich schon gerne gewusst hätte, ob die beiden zusammenwohnen. Aber Ben meinte, ich solle bei Lehmann klingeln. Und Daniel heißt, laut Visitenkarte, Schriftzug auf dem Transporter und der alten Oma von neulich, die dringend mal musste, ja Haug .
»Ich auch«, sagt Ben leise, grinst, kommt auf mich zu, legt seine Hand auf meine Schultern und haucht mir einen keuschen Kuss auf die Wange. Nur angedeutet, im Grunde berühren seine Lippen meine Haut überhaupt nicht. Ein bisschen mehr Leidenschaft hätte ich mir ehrlich gesagt schon erhofft. Und einen
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