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Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Titel: Zwischen den Zeilen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Cole
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reichen, wenn man zum ersten Mal da ist.
    »Füllen Sie uns das einfach kurz aus im Wartezimmer, Herr Lehmann.« Eine unüberlegte Aufforderung zusammen mit einem professionell-freundlichen Lächeln. Einfach und kurz . Zwei Worte, leichtfertig dahingesagt, weil es so normal ist… und sie in meinem Fall doch falscher nicht sein könnten.
    Ich hab's nicht so mit Worten. Und in diesen Momenten hasse ich sie.
    Es ist entwürdigend, neben Daniel im Wartezimmer zu sitzen, der für mich meinen Namen auf das Papier schreibt, während ich davor kapituliere. Meine Adresse, mein Geburtsdatum. Und ich sitze daneben, auf der Kante des Stuhles, die scharf in meine Oberschenkel schneidet, und hoffe, dass niemand der anderen Wartenden mitbekommt, dass ich selbst nicht in der Lage bin, die Kreuze an der richtigen Stelle zu machen. Weil ich die Fragen auf dem Blatt nicht lesen kann. Und man sie nicht, wie Führerscheinbögen, auswendig lernen kann.
    Ich bin nicht in der Lage zu leben. Weil die Welt da draußen für jemanden wie mich nur aus Buchstaben besteht. Überall, jeden beschissenen Tag. Mit jedem Schritt vor die Tür hinaus in dieses Leben, das an mir vorbeiläuft und mich einfach hinter all den anderen zurücklässt. Mittendrin. Mit meinem verzweifelten Versuch, irgendwie zurechtzukommen außerhalb dieser kleinen Welt, die ich mir aufgebaut hab und in der ich sicher bin.
    Ich kann so viele Dinge nicht; nicht alleine zum Arzt gehen, nicht zu Behörden. Nicht, ohne mich zu offenbaren. Und wenn ich es tue, muss ich es aushalten. Die pikierten Blicke, den höflichen Versuch, sich nicht anmerken zu lassen, wie schockiert man über mein Geständnis ist, falls man mir glaubt, dass ich keinen Witz mache. Über ein Handicap, das keine Lobby hat.
    Es ist keine Krankheit. Nichts, wofür man in dieser Welt Mitgefühl erwarten kann. Ich brauche es nicht. Aber manchmal wünschte ich, es wäre so. Dass nicht jeder denken würde, man habe versagt. Weil niemand so dumm sein kann, dass er in diesem fortschrittlichen Land, diesem System, nicht lesen kann und es nicht irgendwie seine eigene Schuld ist. Jedenfalls ist das so in den Köpfen der Menschen. Und in meinem ist es das auch.
    Ich hab einmal versucht, es auszuhalten, als ich es musste. Ich bin in eine herumliegende Hafte getreten. Und bei meiner ruckartigen Bewegung gegen den Schmerz ist sie, weil sie vollkommen blöd unter dem Bindetisch klemmte, abgebrochen und eine Hälfte ist komplett in meiner Fußsohle verschwunden. Flip-Flops im Laden sind eine echt beschissene Idee.
    Mein Hausarzt meinte nach ein paar vergeblichen Versuchen, sie dort unter örtlicher Betäubung wiederzufinden und zu entfernen, man müsse es röntgen. Er hat mich zum Chirurgen überwiesen. Daniel war im Krankenhaus bei Gerd und Kerstin konnte ich auch nicht erreichen. Andi sowieso nicht. Viel mehr, die von dieser Sache wissen, gibt es nicht. Also hab ich am Telefon nach der Straße gefragt, mir ein Taxi genommen und bin alleine losgefahren. Weil das Teil in meinem Fuß trotz Spritze ziemlich wehtat und Auftreten schwierig war.
    »Ich kann das nicht ausfüllen«, hab ich, auf einem Bein stehend, gemurmelt und mich am Tresen festgehalten. Die Rezeptionistin war ungefähr in meinem Alter und sah eigentlich nett aus.
    »Oh, aber wir brauchen Ihre Daten und Ihre Anamnese. Wenn Sie ein Medikament einnehmen oder Erkrankungen haben, muss der Doktor das wissen.«
    »Ich nehme keine Medikamente«, hab ich gesagt und dabei krakelig meinen Nachnamen in die erste Zeile unter das kürzere der beiden Worte gekritzelt. Lehmann. Ich kann es auswendig und brauche in der Regel nicht so lange, dass Verdacht entsteht. Und dann, unter das längere Wort, ein B . Ein B wie Ben. Name ist kürzer als Vorname . Das weiß ich. Meistens steht nicht Familienname in solchen Formularen. Aber selbst wenn, das kann man in der Eile mal überlesen, auch das ist nichts, was verdächtig scheint.
    Ich weiß nicht, wieso ich's ihr gesagt hab damals. Warum ich nicht irgendwas erzählt hab, wie ich das immer tue. Vielleicht, weil keine Zeit für die Handgelenkschiene war, die ich für solche Notfälle habe, um was von Sportverletzung zu murmeln. Sie hat's dann für mich ausgefüllt. An der Rezeption.
    »Du, Ute, der Kerl vorhin…«
    »Der süße Blonde?«
    »Ja, weißt du was… Der kann angeblich nicht lesen«, hat sie, als ich im Sprechzimmer auf der Untersuchungsliege saß, draußen mit gedämpfter Stimme zu ihrer Kollegin gesagt. Vielleicht wäre es

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