Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
verpfuscht hatten, dass ein fingierter Selbstmord als einzige Lösung erschienen war.
Was das Schweigen der Medien erklären würde. Dass es nicht aus Rücksicht auf den Mann geschah, gegen den Krassner sein Buch gerichtet hatte, sondern aus Sorge um den eigenen Arsch. Das würde auch die ungeheure Geschicklichkeit erklären, die nötig gewesen war, um den Mord an Krassner in einen angeblichen Selbstmord zu verwandeln. Ich wüsste ja gern, wer den Einsatz durchgeführt hat, dachte Johansson. Jeanette Eriksson konnte es nicht gewesen sein. Das sagten ihm die Bilder, die er gesehen hatte, und außerdem hatte sie ein Alibi. M’Boye, wirklich witzig, dachte Johansson und grinste. Außerdem war sie einfach nicht der Typ.
Was mach ich jetzt?, überlegte Johansson und seufzte. Wenn ich offen darüber spreche, was ich glaube, dann werden alle, sogar mein bester Freund, glauben, ich sei verrückt geworden. Ich kann niemanden fragen, und wenn ich bei der Säpo vorbeischaue und trotzdem Fragen stelle, dann sitze ich übermorgen bei der Verkehrssünderkartei in Västberga. Und ich selbst habe nicht die kleinste gesetzliche Handhabe für eine winzige Ermittlung, obwohl ich doch noch immer der Chef der mächtigsten Kriminalpolizeiorganisation des Landes bin. Zumindest auf dem Papier.
Ich habe nur meine eigenen Unterlagen, dachte Johansson. Denn die gehören mir und nur mir. Und Hunger hab ich auch. Echten Hunger, wie das eben so ist, wenn man schon vormittags ein ganzes Tagewerk verrichtet und keinen Bissen im Bauch hat. Aber dagegen lässt sich immerhin etwas unternehmen, beschloss Johansson und steuerte sein geliebtes Stammlokal an, wo auch an einem normalen Montag in der Woche vor Weihnachten ein hervorragender Mittagstisch serviert wurde.
Nach dem Essen war Johansson in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, hatte Krassners Manuskript und die übrigen Notizen beiseite gelegt und sich an die restlichen Unterlagen gesetzt. Und dabei hatte er den Brief gefunden, den Pilgrim im April 1955 an Fionn geschrieben hatte, genauer gesagt, eine Kopie dieses Briefes.
Es handelte sich um eine sehr alte Kopie, sicher nur um weniges jünger als der Brief, aus dünnem, blankem und vergilbtem Fotopapier. Sie stammte noch aus der Zeit, als man ein Kopiergerät benutzt hatte, in das das Original eingelegt und mit einer normalen Kamera fotografiert wurde, danach war der Film entwickelt und in der gewünschten Größe abgezogen worden.
Die Kopie steckte zusammen mit anderen Kopien aus jener Zeit in einem alten roten Pappordner, war doppelt mit einer Schnur in derselben Farbe umwickelt, oben in der rechten Ecke klebte ein weißes Etikett. Das Etikett wies drei Zeilen auf, in die erste hatte jemand mit überaus ordentlicher altmodischer Handschrift, Tinte und Stahlfeder den Namen des Besitzers geschrieben: »Col. John C. Buchanan«, in der zweiten Zeile stand in derselben Schrift, was der Ordner enthalten sollte, »private notes, letters etc.« Flecken, nach und nach getrocknete Flüssigkeit, runde Ringe, hinterlassen von Gläsern, vermutlich Whisky, dachte Johansson grinsend und sah vor sich die Flaschenpyramide im Keller des Obersten.
Pilgrims Brief an Fionn war mit Tinte und Füllfederhalter geschrieben, seine Schrift war ausdrucksstark und aggressiv nach rechts gebeugt, sie war noch immer absolut leserlich, nur waren weder Ort noch Datum genannt. Das Papier war unliniert und an zwei Stellen quer gefaltet, die Falten waren gleich weit voneinander entfernt, die Papierqualität unbekannt, die Faltungen wiesen aber auf eine sehr hohe hin. Auf der Kopie gab es eine Notiz, die in altmodischer ordentlicher Handschrift mit Tinte hinzugefügt war, ebenfalls mit Stahlfeder. »April 1955, exact date unknown, arrived during my visit in G.« Der Oberst, dachte Johansson, ohne zu wissen, warum, und obwohl es ihn störte, dass kein Briefumschlag vorhanden war, stellte er sich vor, dass Pilgrim den Brief an Fionns Privatadresse geschickt hatte.
Der Text hatte eine direkte Anrede und wies zugleich literarische Anklänge und einen poetischen Tonfall auf, und wenn nun ein Dichter die Feder geführt hatte, so hatte er darüber jedenfalls nicht vergessen, was er hatte sagen wollen. Es war ein kurzer Brief. Knapp ein Dutzend Zeilen länger als der abschließende Teil, den Krassner in seinem Buch zitiert, und den aller Wahrscheinlichkeit nach ein noch unbekannter Dritter ihm als Abschiedsworte untergeschoben hatte.
Johansson hatte den ganzen Brief ins Schwedische
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