Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
übersetzt und auf einen Zettel geschrieben. Danach hatte er ihn gelesen und über alles nachgedacht, und erst danach hatte er seine Schlüsse gezogen. Er wollte nicht mehr mitmachen, dachte Johansson. Aber er hatte offenbar mindestens einige Jahre lang mitgemacht, und es schien ihm auch ein reiches Leben beschert zu haben, wenn man seinen Worten Glauben schenken wollte.
Fionn,
ich müsste ein Schelm sein, wenn ich leugnen wollte, dass dein großzügiges Angebot mich gefreut und gerührt hat, und ein Lügner, wenn ich auch nur andeuten wollte, dass die Jahre, in denen ich mit dir zusammengearbeitet habe – für eine große und edle Sache –, auch jene waren, die für mich und meine persönliche Entwicklung am meisten bedeutet haben. Einige Male war es sogar so spannend und so kritisch, dass ich am Ende, wenn alles vorüber war und ich auf der anderen Seite wieder herauskam, zu einem anderen Menschen geworden war als der, der hineingegangen war. Und zumindest einmal ist mir die Gnade zuteil geworden, bereits in jungen Jahren frei zufallen wie im Traum. Aber ein jeglich Ding hat seine Zeit. Mein Entschluss steht unwiderruflich fest, und er hat einfach damit zu tun, dass mein Auftrag mein Leben besetzt hält und mir nichts anderes übrig lässt. Denn so ist es gekommen. Ich habe mein Leben zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters gelebt. Als ich jünger war, dachte ich, wenn der Sommer kommt, werde ich mich in eine verlieben, die ich über alles lieben kann, und dann wird mein Leben richtig beginnen. Aber als ich alles getan hatte, zu dem ich gezwungen worden war, war der Sommer schon vorüber, und alles, was blieb, war die Kälte des Winters. Und das war nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte.
Pilgrim
Wieviel sich doch mit geringen Mitteln erreichen lässt, dachte Johansson, und konkret irritierte ihn jetzt die andere Einteilung des Zitates in Absätze, auch wenn das dem poetischen Gehalt gedient haben mochte.
Der Spion, der kündigte, dachte Johansson grinsend. Dafür, dass er damals siebenundzwanzig Jahre alt war – Johansson hatte das Geburtsjahr des Ministerpräsidenten in einem seiner vielen Nachschlagewerke überprüft wirkte er geradezu Atem beraubend unreif. Buchanan hatte sich sicher ausgeschüttet vor Lachen. Und wenn er so gewesen war, wie Sarah ihn beschrieben hatte, dann waren Pilgrims schöne Worte zweifellos vergebliche Liebesmüh gewesen.
Danach hatte er Krassners Papiere zusammengelegt und wieder in der Tüte verstaut. Der Rest konnte warten, er war ja schließlich Polizist und kein Historiker. Man sollte es dem Archiv der Arbeiterbewegung schenken, dachte Johansson. Oder man sollte auf alles pfeifen, sich ein großes Glas genehmigen und ein nettes Frauenzimmer anrufen, denn das hier ist ja nicht gerade das Leben, das ich mir vorgestellt habe. Ob die in der Ausländerabteilung wohl schon Feierabend haben?, überlegte er dann und schaute auf seine Armbanduhr.
Dienstag, 17. Dezember, bis Mittwoch, 18. Dezember
Die Hochschule für Verteidigung fungierte bei dieser Konferenz, bei der es um Fragen der totalen Verteidigung gehen sollte, als Gastgeberin, und zwar vom Mittagessen um ein Uhr am Dienstag bis zum Mittagessen am Mittwoch um zwei. Es war eine exklusive Geschichte, an der nur ein Dutzend handverlesene Gäste teilnahmen, die normalerweise als höhere Chefs im Medienbereich, in der Industrie und im staatlichen Verwaltungsapparat tätig waren.
Die ersten Zusammenkünfte dieser Art hatten bereits gegen Ende der vierziger Jahre stattgefunden, der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge hatte der damalige Ministerpräsident Tage Erlander selbst die Idee entwickelt, unter der Ägide der Hochschule Vertreter der Privatwirtschaft und des öffentlichen Sektors zusammenzubringen, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu vergrößern. Das erklärte auch die Wahl des Zeitpunktes und den neuen Begriff »Totalverteidigung« – ein von neuen Grenzen, neuen Bündnissen und Machtkonstellationen zerteiltes Europa, ein Kalter Krieg zwischen Ost und West, eine stark in Frage gestellte schwedische Neutralitätspolitik. Dass der Ministerpräsident damals beschlossen hatte, zumindest in seinem eigenen Hinterhof für Frieden zu sorgen, wirkte logisch und selbstverständlich.
Diesmal würde man sich in einem komfortablen und schön gelegenen Seminarzentrum im sörmländischen Schärengürtel treffen, und aus irgendeinem Grund sollte offenbar Wiklander Johansson
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