Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
Vom Netzwerk:
begreifen, wie es passierte oder warum er es tat, griff er in eine halb herausgezogene Schublade, fischte einen Revolver mit kurzem Lauf heraus und verstaute ihn in seiner allertiefsten Tasche.
    »Verzeihung«, sagte Wiijnbladh, als er zurückkam, »aber das war der Wachhabende der Kriminalpolizei.«
    »Macht doch nichts«, sagte Waltin. »Wenn überhaupt, dann sollte ich um Entschuldigung bitten, schließlich halte ich dich ja von wichtigeren Aufgaben ab. Ich danke dir sehr für die Führung. Das war ungeheuer lehrreich.«
    Und wie gesagt fast so gut wie damals, als er gesehen hatte, wie sein Mütterchen ihr Haus verließ und mit Hilfe ihrer Stöcke und mit ihrem üblichen Affentheater zur U-Bahn-Station losgehumpelt war.
     
    *
     
    Wiijnbladh und seine Frau hatten wie immer bei seiner Schwägerin, deren halb alkoholisiertem Mann und dem vierzehnjährigen Sohn im Reihenhaus in Sollentuna Weihnachten gefeiert. Es war genauso trist zugegangen wie immer. Zuerst hatten sie gegessen, dann hatten sie sich vor den Fernseher gesetzt, schließlich hatten sie Weihnachtsgeschenke ausgetauscht, und danach hatten sie wieder ferngesehen.
    Dann war der Schwager nach dem üblichen Konsum von Bier, Wein, Schnaps, Kaffee und Avec und Gin Tonic auf dem Sofa eingeschlafen. Den Kopf im Winkel von neunzig Grad gegen das Sofa gelehnt, den Mund sperrangelweit aufgerissen und heftig schnarchend. Die Hausfrau und ihre Schwester waren in der Küche verschwunden, wo sie hinter geschlossener Tür kicherten und Wein tranken. Der Sohn blieb sitzen und starrte Wiijnbladh unter seinem Pony hinweg böse an, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Seine Blicke verrieten, dass er geistig zurückgeblieben und außerdem tückisch war, fand Wiijnbladh, aber es war immerhin ein Trost, dass der Knabe bald fünfzehn wurde, und dann könnte Wiijnbladh im Personen- und Vorstrafenregister nachsehen, um festzustellen, was er eigentlich trieb, wenn er in der Schule oder zu Hause über seinen Aufgaben brüten sollte.
    »Wir sollten vielleicht an die Heimfahrt denken«, sagte Wiijnbladh, und als er die Küchentür öffnete, verstummten Gattin und Schwägerin sofort. Die Gattin hatte gerade etwas erzählt, das hatte er gehört, und offenbar hatte sie dabei Tränen gelacht.
    »Ich glaube, dein lieber Mann möchte eine Nummer … auch er«, sagte die Schwägerin nach einer Kunstpause, und danach lachten sie beide Tränen.
    Ich sollte sie alle beide umbringen, dachte Wiijnbladh.
     
    *
     
    Kaum hatte Waltin seine Wohnung in Norr Mälarstrand erreicht, da entschloss er sich, die kleine Jeanette anzurufen.
    »Ich habe meine Pläne geändert, Geliebte«, sagte er. »Ich glaube, wir müssen in der Stadt Weihnachten feiern. Im Job ist so viel los, dass ich erreichbar sein muss«, erklärte er.
    »Wann soll ich denn kommen?«, fragte Jeanette. Klasse, dachte sie. Dann kann man zwischen den Jahren vielleicht normal sitzen.
    Ob sie wohl versuchen wird, Kontakt zu mir aufzunehmen, überlegte Waltin. Oder ob ich mich an sie wenden sollte? Und plötzlich erregte das alles ihn dermaßen, dass er sich die Fotos schnappen musste, die er im Frühling von ihr gemacht hatte, um ins Badezimmer zu gehen und sich von seinem Druck zu befreien.
    Was zum Teufel soll das denn?, dachte Jeanette erstaunt. Zuerst Champagner und russischer Kaviar, dann Gänseleber und dieser süße französische Wein, den sie liebte, dann Seezunge und noch mehr Champagner. Jetzt aßen sie gerade Sorbet von schwarzen Johannisbeeren, die zweite Flasche Champagner war schon mehr als halb getrunken, und sie war noch immer vollständig angezogen. Und er war so zärtlich, reizend und unterhaltsam wie beim ersten Mal. Und sah besser aus denn je, obwohl er die ganze Zeit verdammt gut ausgesehen hatte.
    »Prost, meine Geliebte«, sagte Waltin und hob sein Glas. »Ich habe übrigens ein Geschenk für dich.«
    Es war ein bodenlanger Nerzmantel mit Kapuze. Wann soll ich den wohl anziehen?, fragte sie sich. In einem anderen Leben. Was der wohl gekostet hat? Ein oder zwei von meinen Jahresgehältern, vor Abzug der Steuern, dachte sie.
    »Es soll ja einen kalten Winter geben«, sagte Waltin lächelnd. »Und du sollst mir doch nicht frieren.«
    Was soll das bloß?, dachte Kriminalassistentin Jeanette Eriksson, die bald achtundzwanzig Jahre alt werden würde.
    Ich muss auch Hedberg erwischen, dachte Waltin, während er die kleine Jeanette ansah, die neben ihm im Bett schlief. Ungestraft, nach etwas zu viel Champagner nicht in den

Weitere Kostenlose Bücher