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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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einer Person möbliert worden, die um einiges älter gewesen war als Johanssons Gastgeberin, und wenn er nach der Kleidung dieser Gastgeberin ging, hatte diese Person auch einen bedeutend konventionelleren Geschmack besessen. Ihr Elternhaus, dachte Johansson. Gebildete, intellektuelle Menschen in guter Finanzlage- Sie hatte ihn zum Tee eingeladen, und da Johansson einfache Dinge nicht unnötig komplizieren wollte, hatte er, obwohl er Kaffee vorzog, dankend angenommen.
    »Aber vielleicht möchten Sie lieber Kaffee?«, fragte sie, als sie ihm einen großen Keramikbecher brachte.
    »Tee ist wunderbar«, sagte Johansson höflich.
    Die Becher hat jedenfalls sie ausgesucht, dachte er. Aber sonst schien hier nicht viel einen Sinn zu ergeben. Wenn Krassner der Wirrkopf war, als den er sich ihn vorgestellt hatte, dann passte er kaum zu der Frau, die Johansson gegenübersaß: lächelnd, leicht vornübergebeugt, konzentriert und mit einer unübersehbaren Neugier. Sie schien diesen Verflossenen im Übrigen kaum zu betrauern, fand Johansson.
    »Erzählen Sie«, sagte sie. »Sonst sterbe ich vor Neugier.«
    Ob ich wohl Vertrauen zu ihr haben kann?, überlegte Johansson.
    »Well«, sagte er zögernd. »Ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll.«
    »Mit dem Anfang vielleicht«, sagte sie und lächelte noch strahlender. »Das ist immer das Einfachste.«
    Na gut, dachte Johansson und nickte. Was habe ich eigentlich zu verlieren? »It all begins with a shoe with a heel with a hole in it.«
    »A shoe with a heel with a hole in it? You mean a shoe with a perforated heel?«
    So heißt das natürlich, dachte Johansson. Hohler Absatz, perforated heel, perforated heel.
    »Perforated heel, yes«, sagte Johansson.
    »Oh, Jesus«, sagte sie hingerissen. »Und ich wette, dass der an Johns Fuß saß.«
    »Ja«, sagte Johansson und nickte. »So war es tatsächlich, aber nicht deshalb bin ich hier.«
    Das ist natürlich der Trick, dachte Johansson eine halbe Stunde später. Man soll immer mit dem Anfang anfangen. Er hatte von dem beunruhigenden kleinen Zettel mit seinem Namen, seinem Rang und seiner Privatadresse erzählt, der in dem hohlen Absatz gefunden worden war, von Krassners Selbstmord, von Krassners Brief, der auf Abwege geraten war und den er noch immer nicht gelesen hatte, und von dem eigentlichen Grund seines USA-Besuches, von seiner Neugier und den ganz privaten Gründen, aus denen er jetzt auf ihrem Sofa saß. Von der Unruhe, die er verspürt hatte, sagte er jedoch kein Wort.
    Sie selbst hatte bisher geschwiegen. Sie hatte einfach zugehört, genickt und ihren Tee nicht einmal angerührt. Als er von Krassners Selbstmord berichtet hatte, hatte sie aufgehört zu lachen und nur zweimal genickt. Mit ernsten, wachsamen Augen.
    »Ja, das ist wohl alles«, sagte Johansson und machte eine erklärende Handbewegung.
    »Gut, dass Sie gekommen sind«, sagte sie. »Ich habe nämlich schon versucht, Sie zu erreichen.«
    Hoppla, das geht aber schnell, dachte Johansson.
    »Sie können seinen Brief gleich lesen«, sagte sie. »Ich fürchte, er ist nicht besonders informativ, auch wenn er wohl sehr viel über John verrät«, fügte sie hinzu und lächelte wieder.
    »Aber zuerst sollten Sie ein wenig über sich selbst erzählen«, sagte Johansson.
    »Genau«, sagte sie. »Und nicht alle Polizisten sind dumm, oder?«
    »Nicht alle«, sagte Johansson und schüttelte den Kopf.
    Danach hatte sie von sich erzählt und von ihrem Verflossenen John P. Krassner, und wenn sie sich bei einer polizeilichen Vernehmung so ausgedrückt hätte, dann hätte sie ihrem Vernehmungsleiter dadurch ewige und ungewöhnliche Ehre eingelegt.
    Sarah J. Weissman, J wie Judith, war 1955 geboren worden. Sie war ein Einzelkind, ihre Eltern waren seit zehn Jahren geschieden. Ihre Mutter hatte wieder geheiratet, lebte in New York und arbeitete dort als Verlagslektorin. Ihr Vater war Professor der Wirtschaftswissenschaften, und das Haus, in dem sie hier saßen, gehörte ihm. Fünf Jahre zuvor hatte er einen Ruf nach Princeton erhalten, und seine Tochter hatte so lange hier wohnen wollen, bis er entschieden hätte, ob das Haus verkauft werden sollte oder nicht. Und da seine Entscheidung noch immer nicht gefallen war, wohnte sie noch immer hier.
    »Eine typisch jüdische Familie«, fasste Sarah das Ganze zusammen und lächelte strahlend. »Aber nicht auf diese korrektnervige Weise, sondern eher praktisch jüdisch. Sie haben ja den Weihnachtsbaum gesehen«, sagte sie und kicherte.

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