Zwischen Ehre und Verlangen
hat er Ihnen angetan, Madam?” fragte er zornig. “Sind Sie verletzt?”
“Nein”, flüsterte sie und senkte den Kopf, damit sie Mr. Brownsmith nicht in die Augen schauen musste. “Humphrey hat mich hier überrascht und ist dann zudringlich geworden.”
“Ich hätte ihn gleich nach dem ersten Mal verprügeln sollen”, äußerte Jared verbissen und ließ sie los. “Aber das kann ich sofort nachholen!”
“Nein, bitte nicht, Sir!”, flehte sie, ohne ihn anzusehen, da sie sich schämte. “Humphrey war wütend, weil er glaubt, dass ich mich mit Ihnen vergnüge. Er hat mich beschuldigt, ich hätte …” Verlegen hielt sie inne und fuhr nach kurzer Pause fort: “Ich weiß, dass ich mich unklug benommen habe, aber wenn Sie sich mit ihm prügeln, wird das die ganze Nachbarschaft erfahren, und mein guter Ruf leidet.”
“Was soll ich mit dem Vetter Ihres Mannes machen?” fragte Jared unwirsch.
“Nichts. Er … Vorsicht, Mr. Brownsmith”, fügte sie erschrocken hinzu, weil sie Humphrey mit einem trockenen Aststück auf ihn zutorkeln sah.
Schnell drehte Jared sich um, stellte sich vor sie und wollte den Schlag abwehren.
Er hatte jedoch nicht rechtzeitig genug reagiert, sodass der Knüppel ihn seitlich am Kopf traf.
Humphrey sah Mr. Brownsmith vor Wut und Rachelust das Gesicht verzerren und fand es angebracht, die Flucht zu ergreifen. Er hatte sich jedoch kaum in Bewegung gesetzt, als sein Gegner ihn an der Schulter ergriff, zurückriss und ihm einen Schlag unter das Kinn versetzte, der ihm Funken vor den Augen aufsprühen ließ.
Im nächsten Moment wurde er am Gehrock gepackt, hochgehoben und weit nach rückwärts geschleudert. Mit voller Wucht prallte er auf der Erde auf, blieb ein Weilchen reglos und nach Luft ringend liegen und versuchte dann, auf die Beine zu kommen.
“Sind Sie verletzt, Mr. Brownsmith?” erkundigte Amanda sich bestürzt.
“Nein”, antwortete er, “aber mir dröhnt der Schädel.”
Amanda war unschlüssig, ob sie bei ihm bleiben oder jemanden zu Hilfe holen solle. “Setzen Sie sich dort an den Baum, und lehnen Sie sich an den Stamm”, riet sie ihm schließlich. “Ich werde versuchen, einen Arzt zu finden.”
“Nein!”, erwiderte Jared benommen, ging schwankend zu ihr und hielt sie am Arm fest. “Jetzt habe ich wieder einen Schlag gegen die rechte Schläfe bekommen”, sagte er leise. “Das erste Mal ist das bei dem Postkutschenunfall passiert. Wo sind wir? In Holkham Hall, nicht wahr? Und hier findet die jährliche Schafschur statt?”
“Ja”, bestätigte Amanda irritiert. “Denken Sie jetzt nicht nach. Ruhen Sie sich lieber aus.”
“Wo ist dieser Lump?” fragte er, richtete den Blick auf den immer noch ächzenden, stark im Gesicht blutenden Mr. Clare und näherte sich ihm drohend. Wütend hielt er vor ihm an und äußerte gepresst: “Sie hätten es verdient, dass ich Sie zum Duell fordere, weil Sie Mrs. Clare beleidigt und bedrängt und mich tätlich angegriffen haben. Sie können von Glück reden, dass ich Sie aus Rücksicht auf sie, damit sie nicht in einen Skandal verwickelt wird, nicht zur Rechenschaft ziehen werde.”
Humphrey stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
“Ehe ich Sie gehen lasse”, fuhr Jared hart fort, “warne ich Sie jedoch, dass ich, sollte mir von Dritten etwas über diesen Vorfall zu Ohren gelangen, Sie in aller Öffentlichkeit bloßstellen und Satisfaktion von Ihnen verlangen werde, wenn Sie am wenigsten damit rechnen. Und Sie sollten wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Ich bin Jared Mansell, der Earl of Severn.”
6. KAPITEL
F assungslos schaute Amanda den vermeintlichen Mr. Brownsmith an und glaubte, den Ohren nicht trauen zu können. Ihm war plötzlich eingefallen, wer er war. Vollkommen überrascht näherte sie sich ihm und wollte ihn fragen, wie es dazu gekommen war, besann sich jedoch eines Besseren, damit Humphrey keinen Verdacht schöpfte.
Sie hatte noch nie vom Earl of Severn gehört, da sie nicht in illustren Kreisen verkehrte. Humphrey hingegen schien der Name geläufig zu sein, denn unvermittelt erbleichte er, erhob sich unsicher und entfernte sich nach einem entsetzten Blick auf Seine Lordschaft wankend in Richtung des Hauses.
“Sie erinnern sich, Sir, wer Sie sind!”, äußerte sie staunend, ging zu ihm und schaute ihn bewegt an.
“Ja”, bestätigte er und rieb sich die schmerzende Schläfe. “Ich bin immer noch etwas durcheinander, aber es besteht kein Grund zur Sorge. Auch wenn ich gewiss bald die
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