Zwischen Himmel und Liebe
in den Zoo oder ins Kino gehen und so …« Sie zögerte.
»Was ist damit?«
»Würdest du so was vielleicht auch gern mal mit mir machen?«
Luke grinste sie an. »Ja, das wäre cool!« Er dachte eine Weile nach. »Jetzt sind wir irgendwie gleich, stimmt’s? Ich meine, dass meine Mom weggegangen ist, ist irgendwie so ähnlich wie das, was deine Mom gemacht hat, oder nicht?«, fragte er dann, hauchte auf den Glastisch und schrieb seinen Namen auf die beschlagene Stelle.
Auf einmal überlief es Elizabeth kalt. »Nein«, fauchte sie. »Das ist überhaupt nicht das Gleiche.« Sie stand auf, knipste das Licht an und begann die Arbeitsplatte abzuwischen.
»Das sind zwei völlig unterschiedliche Leute, es ist überhaupt nicht zu vergleichen«, betonte sie noch einmal mit zitternder Stimme und schrubbte wie eine Wilde auf der Platte herum. Als sie aufschaute, entdeckte sie in der Glasscheibe des Wintergartens ihr Spiegelbild. Verschwunden war ihre Gelassenheit, ihre Einfühlsamkeit, jetzt sah sie aus wie eine Besessene, die sich vor der Wahrheit versteckte und vor der Welt davonlief.
Da plötzlich wusste sie es.
Und die Erinnerungen, die in den dunklen Ecken gelauert hatten, krochen langsam, aber sicher hervor ans Licht.
Sechsunddreißig
»Opal!«, rief ich leise von der Tür ihres Büros her. Sie schien so zerbrechlich, dass ich Angst hatte, das kleinste Geräusch könnte sie zum Zerspringen bringen.
»Ivan«, lächelte sie müde und strich sich die Dreadlocks aus dem Gesicht.
Ich sah mich selbst in ihren tränenglänzenden Augen, als ich ins Zimmer trat. »Wir machen uns alle Sorgen deinetwegen. Gibt es irgendetwas, was wir tun können? Was ich tun kann?«
»Danke, Ivan, aber abgesehen davon, dass ihr die Dinge hier ein bisschen im Auge behaltet, gibt es eigentlich nichts, womit ihr mir helfen könnt. Ich bin einfach so müde, weil ich die letzten Nächte im Krankenhaus verbracht habe und nicht schlafen wollte. Er hat nur noch wenige Tage, ich möchte es nicht verpassen, wenn er …« Sie wandte den Blick ab, starrte auf den Bilderrahmen auf ihrem Schreibtisch, und als sie wieder sprach, zitterte ihre Stimme: »Ich wünschte mir so, es gäbe eine Möglichkeit, wie ich ihm Lebewohl sagen kann, wie ich ihn wissen lassen kann, dass er nicht allein ist, dass ich bei ihm bin.« Tränen liefen ihr über die Wangen.
Ich ging zu ihr und tröstete sie, aber ich fühlte mich machtlos, denn es war mir klar, dass ich nichts, rein gar nichts für diese Freundin tun konnte. Oder etwa doch?
»Warte, Opal, vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Ich hab da eine Idee …« Und schon war ich auf und davon.
In letzter Minute hatte Elizabeth arrangiert, dass Luke bei Sam übernachten konnte, denn sie wusste, dass sie allein sein musste. Sie spürte die Veränderung in sich, ein Frösteln, das von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte und nicht weggehen wollte. Zusammengekauert hockte sie im Bett, eingemummelt in einen viel zu großen Pullover, die Decke eng um sich gezogen, und versuchte verzweifelt, wieder warm zu werden.
Der Mond vor ihrem Fenster merkte, dass etwas nicht stimmte, und bewachte sie in der Dunkelheit. Immer wieder krampfte sich ihr Magen nervös zusammen. Was Ivan und Luke heute zu ihr gesagt hatten, hatte in ihr einen Schlüssel umgedreht und eine Truhe von Erinnerungen geöffnet, die so furchtbar waren, dass Elizabeth sich fürchtete, die Augen zu schließen.
Durch die offenen Vorhänge blickte sie aus dem Fenster zum Mond hinauf, der ihr ermutigend zunickte, und sie ließ sich treiben, öffnete vorsichtig den Deckel der Truhe und schloss langsam die Augen.
Sie war zwölf Jahre alt. Vor zwei Wochen hatte ihre Mutter mit ihr auf der großen Wiese gepicknickt und ihr gesagt, dass sie weggehen würde. Seit zwei Wochen wartete Elizabeth nun auf sie. Vor Elizabeths Zimmer kreischte die einen Monat alte Saoirse, und ihr Vater wiegte sie und bemühte sich, sie zu beruhigen und zu trösten.
»Schlaf, mein Baby, schlaf ein«, hörte sie seine Stimme lauter und leiser werden, während er noch spät in der Nacht im Haus hin und her wanderte. Draußen heulte der Wind, quetschte sich pfeifend durch Fensterritzen und Schlüssellöcher, wirbelte und tanzte in den Zimmern herum, lockte, neckte, kitzelte Elizabeth, die im Bett lag, sich die Ohren zuhielt und weinte.
Saoirses Schreie wurden lauter, Brendans Stimme wurde lauter, und Elizabeth versteckte den Kopf unter dem Kissen.
»Bitte, Saoirse, bitte hör auf
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