Zwischen Himmel und Liebe
Saoirse allein war, seine Pflicht erkennen und der Tochter, die noch bei ihm war, wenigstens so viel Liebe geben würde, wie es ihm eben möglich war.
Aber was, wenn er das nicht tat? Sie hatte aus dem Rückfenster auf ihre winkende Schwester gestarrt und das Gefühl gehabt, sie würde sie nie wiedersehen, während sie ebenfalls winkte und sich ihre Augen mit Tränen füllten, Tränen um das kleine Energiebündel, das sie zurückließ. Die roten Haare hüpften auf und ab und waren noch lange Zeit zu erkennen. So winkten und winkten sie, alle beide. Was würde ihre kleine Schwester machen, wenn der Spaß des Winkens vorbei war und sie allein sein würde mit diesem wortkargen Mann, der nicht helfen und nicht lieben konnte? Fast hätte Elizabeth den Fahrer aufgefordert anzuhalten, aber dann sagte sie sich, dass sie das nicht durfte. Sie musste leben.
Eines Tages wirst du dasselbe tun, kleine Saoirse, riefen ihre Augen der kleinen Gestalt zu, während das Taxi sich entfernte. Versprich mir, dass du dasselbe tun wirst. Flieg weg von hier.
Die Augen voller Tränen, so sah Elizabeth das Farmhaus in ihrem Rückspiegel kleiner und kleiner werden, bis es schließlich ganz verschwand. Sofort entspannten sich ihre Schultern, und sie merkte, dass sie die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte.
»In Ordnung, Ivan«, sagte sie und schaute im Rückspiegel auf den leeren Sitz. »Sieht aus, als würdest du jetzt mit mir zur Arbeit kommen«, seufzte sie. Und tat dann etwas sehr Seltsames.
Sie fing völlig kindisch an zu kichern.
Sieben
Als Elizabeth die graue Steinbrücke überquerte, die ins Städtchen hineinführte, war Baile na gCroíthe gerade dabei aufzuwachen. Auf der schmalen Straße vor ihr quälten sich zwei riesige Touristenbusse Zentimeter um Zentimeter aneinander vorbei, neugierige Gesichter pressten sich an die Fensterscheiben, Leute staunten, lächelten und deuteten, Kameras wurden gezückt, um das Spielzeugdorf auf Zelluloid zu bannen. Der Busfahrer leckte sich über die Lippen, und Elizabeth sah den Schweiß auf seiner Stirn, während er das übergroße Fahrzeug konzentriert durch die Straße manövrierte, die ursprünglich einmal für Pferde und Wagen angelegt worden waren. Dass die Busse sich nicht streiften, war Maßarbeit. Neben dem Fahrer gab der Reiseführer mit dem Mikrophon in der Hand sein Bestes, um sein Publikum – um die hundert Leute – so früh am Morgen angemessen zu unterhalten.
Elizabeth zog die Handbremse an und seufzte laut. Solche Situationen waren in der kleinen Stadt keine Seltenheit, und sie wusste, dass es eine Weile dauern konnte, bis es weiterging. Vermutlich würden die Busse hier nicht lange halten, denn normalerweise wurde in Baile na gCroíthe höchstens eine Pinkelpause eingelegt. Verständlicherweise, fand Elizabeth, denn das Städtchen war zwar ein guter Ausgangspunkt für alle möglichen Unternehmungen, bot aber selbst nicht viel Anlass zum Verweilen. Sicher, man fuhr langsamer und sah sich um, aber wenn man am anderen Ende angekommen war, trat man aufs Gaspedal und machte, dass man weiterkam.
Nicht dass Baile na gCroíthe nicht hübsch gewesen wäre – das war es ohne jeden Zweifel. Sein stolzester Moment war es gewesen, als es zum dritten Mal in Folge den Wettbewerb »Unser sauberstes Städtchen« gewonnen hatte und am Dorfeingang auf der anderen Seite der Brücke ein aus Blumen geformter Willkommensgruß die Besucher empfing. Überall im Städtchen prangten Blumen: Blumenkästen verschönerten Ladenfronten, Blumenkörbe hingen von den Laternenpfählen. Mächtige Bäume säumten die Hauptstraße. Jedes Gebäude war mit einer anderen fröhlichen Farbe gestrichen, sodass sich die Main Street – die einzige richtige Straße – als ein Regenbogen in Mintgrün, Lachs, Lila, Zitronengelb und Blau präsentierte. Weit und breit kein Müll auf den Gehwegen, und wenn man die Augen hob, sah man über den Dächern die majestätischen grünen Hügel emporsteigen. Es war, als ruhte Baile na gCroíthe in einem Kokon, gemütlich eingekuschelt in den Schoß von Mutter Natur. Behaglich. Oder beengend.
Elizabeths Büro lag im oberen Stockwerk eines hellblauen Gebäudes, neben dem grünen Postamt und einem gelben Supermarkt, direkt über Mrs. Brackens Vorhang-, Stoff- und Polstergeschäft. Früher war dort Mr. Brackens Eisenwarenladen gewesen, aber als er vor zehn Jahren gestorben war, hatte Gwen beschlossen, selbst etwas aufzubauen. Ihre Entscheidungen traf sie jedoch
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