Zwischen Himmel und Liebe
Elizabeth höchst unwillig auf die Reise mit unbekanntem Ziel. Bei jeder Biegung wollte sie umdrehen und fragte sich, warum sie es nicht tat.
Nachdem sie zwanzig Minuten auf kurvigen Sträßchen herumgegondelt waren, folgte Elizabeth zum letzten Mal Ivans Anweisungen und parkte an einem Feld, das für sie genauso aussah wie alle anderen, an denen sie in den letzten zwanzig Minuten vorbeigekommen waren. Nur dass man von diesem einen wunderhübschen Blick über den Atlantik hatte. Aber sie ignorierte die Aussicht und schimpfte in den Seitenspiegel, weil sie ein paar Dreckspritzer auf der sonst so makellosen Karosserie entdeckt hatte.
»Wow, was ist denn das?« Luke drängte sich zwischen die Vordersitze und deutete durch die Windschutzscheibe.
»Luke, mein Freund«, verkündete Ivan fröhlich. »Die hier nennt man Jinny Joes.«
Elizabeth blickte auf. Vor ihr wirbelten Hunderte Löwenzahnsamen im Wind herum, fingen das Licht der Sonne in ihren weißen flauschigen Schirmchen und schwebten auf die Neuankömmlinge zu wie Träume.
»Sie sehen aus wie Feen«, staunte Luke.
Elizabeth verdrehte die Augen. »Feen«, wiederholte sie abschätzig. »Was für Bücher hast du denn gelesen? Das sind ganz normale Löwenzahnsamen, Luke.«
»Woher wusste ich bloß, dass Sie das sagen würden?«, brummte Ivan, und man hörte ihm seinen Frust deutlich an. »Na ja, ich hab Sie wenigstens dazu gekriegt herzukommen, vermutlich ist das auch schon ein Erfolg.«
Überrascht starrte Elizabeth ihn an. So hatte er sie noch nie angeblafft.
»Luke«, sagte Ivan, »man nennt sie auch irische Gänseblümchen, aber sie sind nicht nur Löwenzahnsamen, sondern die meisten
normalen
Leute nennen sie Jinny Joes«, fuhr er mit einem Blick zu Elizabeth fort, »und sie tragen Wünsche durch den Wind. Man muss sie mit der Hand einfangen, sich etwas wünschen und sie dann loslassen.«
Elizabeth schnaubte.
»Wow«, flüsterte Luke. »Aber warum tun die Leute das?«
»Guter Junge!«, lobte ihn Elizabeth.
Aber Ivan ignorierte sie. »In früheren Zeiten hat man Löwenzahnblätter gegessen, weil sie extrem vitaminreich sind«, erklärte er. »Auf Lateinisch heißt der Löwenzahn übersetzt sogar ›Heilpflanze für alle Krankheiten‹. Deshalb symbolisiert er für viele Menschen auch das Glück schlechthin, und sie vertrauen den Löwenzahnschirmchen ihre Wünsche an.«
»Werden die Wünsche denn auch wahr?«, fragte Luke hoffnungsvoll.
Elizabeth funkelte Ivan ärgerlich an. Wie konnte er dem Jungen nur solche Flausen in den Kopf setzen?
»Nur diejenigen, die richtig ausgeliefert werden. Also weiß es niemand so genau. Denk nur dran, wie oft Briefe verloren gehen.«
Luke nickte verständnisvoll. »Okay, dann lass uns welche fangen.«
»Geht nur, ihr beiden, ich warte hier im Auto«, sagte Elizabeth und starrte stur geradeaus.
Ivan seufzte. »Eliza…«
»Nein, ich warte hier«, wiederholte sie mit fester Stimme, drehte das Radio an und lehnte sich zurück, um den beiden zu zeigen, dass sie nicht bereit war, sich hier wegzurühren.
Luke kletterte aus dem Wagen, und sie wandte sich an Ivan. »Ich finde es lächerlich, dass Sie ihm diese Lügen in den Kopf setzen«, schimpfte sie. »Was wollen Sie ihm sagen, wenn überhaupt nichts wahr wird von dem, was er sich wünscht?«
»Woher wollen Sie denn wissen, dass es nicht wahr wird?«
»Weil ich einen gesunden Menschenverstand besitze. Etwas, woran es Ihnen entschieden zu mangeln scheint.«
»Sie haben Recht, ich habe keinen gesunden Menschenverstand. Ich möchte nicht das Gleiche glauben, was alle anderen glauben. Ich habe meine eigenen Gedanken, die mir niemand eingetrichtert hat und die ich in keinem Buch gelesen habe. Ich lerne aus Erfahrung, aber Sie, Sie haben Angst, Erfahrungen zu machen, und deshalb werden Sie immer Ihren so genannten gesunden Menschenverstand haben und sonst nichts.«
Elizabeth sah aus dem Fenster und zählte innerlich bis zehn, um nicht zu platzen. Sie hasste diesen ganzen New-Age-Mist, und im Gegensatz zu Ivan glaubte sie, dass solches Zeug genau das war, was man aus Büchern lernte. Aus Büchern, die von Leuten geschrieben und gelesen wurden, die ihr Leben damit verbrachten, nach etwas zu suchen, nach
irgend
etwas, das sie von der Langweile ihres Alltags ablenkte. Von Leuten, die sich einredeten, dass hinter allem mehr stecken musste als das Offensichtliche.
»Wissen Sie, Elizabeth, der Löwenzahn ist auch als Liebespflanze bekannt. Manche sagen, wenn man die Schirmchen
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