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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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konnte.
    »Lass es mich wieder gutmachen«, sagte er, während er mir über den schmalen Pfad folgte.
    »Brauchst du nicht«, antwortete ich.
    »Schon klar. Ich will aber. Und ich weiß auch schon, wie.«
    Ich wandte mich zu ihm um. »Ach?«
    Er nickte. »Komm einfach mit. Auf geht’s.«
     
    Man kann sich auf vielerlei Art entschuldigen. Mit Diamanten, Pralinen, Blumen. Oder auch indem man es schlicht und einfach ernst meint mit der Entschuldigung, sie wirklich aufrichtig empfindet. Doch einen Stift, der nach Sirup roch, hatte ich noch nie zuvor bekommen, wenn sich jemand bei mir entschuldigen wollte. Ich muss zugeben: Es wirkte.
    »Okay«, sagte ich. »Ich verzeihe dir.«
    Wir saßen im Waffelcafé, einem kleinen, orange gestrichenen Gebäude direkt an der Schnellstraße, an dem ich in meinem Leben bestimmt schon tausendmal vorbeigefahren war, ohne dass es mir je in den Sinn gekommen wäre, anzuhalten und hineinzugehen. Vielleicht lag es an den riesigen Lastwagen   – ein paar parkten eigentlich immer davor   – oder an dem uralten, von der Sonne ausgeblichenen Schild, auf dem in schwarzen Buchstaben IMMER HEREIN MIT DER GANZEN BANDE stand. Aber jetzt saß ich drin, um kurz vor elf an einem Samstagabend, und hielt eine Friedenspfeife in Form eines Stiftes in der Hand, der nach Ahornsirup roch, mit Miniwaffeln dekoriert war und den Wes gerade für mich im Geschenkeshop gekauft hatte, Kostenpunkt ein Dollar neunundsiebzig.
    Ich nahm die Speisekarte vom Tisch. Alles klebte, Speisekarte, Tischplatte . . . Die Kellnerin trat zu uns, zog einen Stift aus ihrer Schürzentasche. »Hallo, Großer«, sagte sie zu Wes. Sie war ungefähr so alt wie meine Mutter, trug eine dicke Stützstrumpfhose und Krankenschwesternschuhe mit quietschenden Sohlen. »Das Übliche?«
    »Genau.« Er schob seine Speisekarte zur Tischkante. »Danke.«
    »Und Sie?«, fragte sie mich.
    »Eine Waffel und einmal Rösti«, sagte ich und legtemeine Speisekarte auf seine. Die einzigen Gäste außer uns waren ein alter Mann, der Zeitung las und einen Kaffee nach dem anderen in sich hineinschüttete, sowie eine Gruppe betrunkener Collegestudenten, die die Jukebox in Endlosschleife einen Song von Tammy Wynette spielen ließen und sich aus unerfindlichen Gründen halb totlachten.
    Ich nahm meinen Stift in die Hand und schnupperte dran.
    »Gib’s zu«, sagte Wes. »Jetzt, wo du endlich eins von den Dingern geschenkt bekommen hast, kannst du es nicht fassen, dass du im Leben bisher ohne ausgekommen bist.«
    »Was ich tatsächlich nicht fasse, ist, dass man dich hier kennt.« Ich legte den Stift wieder auf die Tischplatte. »Seit wann bist du Stammgast?«
    Er lehnte sich auf der gepolsterten Bank zurück und strich mit dem Finger am Rand der Papierserviette entlang, die unter seinem Besteck lag. »Seit dem Tod meiner Mutter. Ich konnte oft nicht gut schlafen. Dieses Café hat Tag und Nacht geöffnet. Hierher zu kommen war besser, als ziellos in der Gegend herumzufahren. Inzwischen ist es zur Gewohnheit geworden. Vor allem wenn ich etwas Inspiration brauche, komme ich gern her.«
    »Inspiration«, wiederholte ich und sah mich leicht verwundert um.
    »Allerdings«, antwortete Wes so enthusiastisch wie selten; offenbar war ihm mein zweifelnder Ton aufgefallen. »Wenn ich bei der Arbeit an einer Skulptur nicht weiterkomme, setze ich mich eine Zeit lang hier rein, esse eine Waffel   – und wenn ich damit fertig bin, habe ich das Problem im Kopf gelöst oder sehe zumindest Möglichkeiten, wie ich weitermachen könnte.«
    »Und die Skulptur im Garten? Wie bist du darauf gekommen?«
    Nach kurzem Nachdenken antwortete er: »Das lässt sich nicht vergleichen. Ich meine, die habe ich speziell für jemanden gemacht. Und damit ergab sich die Idee fast von selbst.«
    »Stella.«
    »Ja.« Er lächelte. »Sie hat sich vor lauter Freude überhaupt nicht mehr eingekriegt. Dabei war es das Mindeste, was ich für sie tun konnte, weil sie die ganze Zeit, als meine Mutter krank war, so nett zu Bert und mir gewesen war. Vor allem zu Bert.«
    »Die Stella-Skulptur ist echt der Hammer«, meinte ich. Und erntete ein Achselzucken. Typisch. Wes machte das immer, wenn man irgendwas Positives über ihn sagte. »Bei all deinen Skulpturen dreht oder bewegt sich was, wie bei einem Windspiel. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?«
    »Sieh mal an, seit wann willst du denn eine Bedeutung in meinen Sachen entdecken?«, frotzelte er. »Als Nächstes erzählst du mir was von der komplexen

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