Zwischen Leidenschaft und Liebe
dachte voller Verlangen an MacTarvits gemütliche warme Hütte und seinen wärmenden Whisky. »Ja«, sagte sie, »Tee wäre jetzt wunderbar.«
Eine halbe Stunde später war Claire wieder in ihrem Zimmer, und Miss Rogers beschwerte sich ohne Ende über Claires nasse Kleider.
»Sie erwarten doch hoffentlich nicht von mir, daß ich dieses Kostüm rette?« Die kleine graue Frau zog die Nase kraus über Claires Reitkostüm. »Das war eine gute Qualität, wenn auch französisch im Schnitt; aber jetzt ist es ruiniert. Natürlich sind wir Engländer und sogar diese Schotten nicht so mit Geld gesegnet wie ihr Amerikaner, daß wir es zum Fenster hinauswerfen können. Soweit ich weiß, könnt ihr Amerikaner es euch sogar leisten, gute Kleider wegzuwerfen, wenn ihr sie nur einmal getragen habt. Ich kann dazu nichts sagen. Ich habe meine Pflichten, und das ist alles. Es steht mir nicht zu, meine sogenannte Herrschaft zu kritisieren. Obwohl es einen schon wundert, daß jemand aus einem Land, das noch vor wenigen Jahren von Wilden bewohnt wurde, nun etwas Besseres ist als eine Engländerin - aber wer bin ich, daß ich mir darüber Gedanken machen darf? Ich meine nur, es ist ein Jammer ...«
»Miss Rogers!« sagte Claire so fest, wie es ihre klappernden Zähne erlaubten. »Würden Sie den Lakaien Bescheid sagen, daß man mir ein Bad herrichten soll?«
»Um diese Tageszeit?«
»Ja, um diese Tageszeit.«
Miss Rogers schniefte. »Ich bin sicher, daß es für jemanden in Ihrer Position nichts bedeutet, wenn die Dienstboten Ihretwegen mehr arbeiten müssen. Wir sind ja ein Nichts für sie. Wir ...«
»Gehen Sie!« befahl Claire, während sie mit vor Kälte steifen Fingern versuchte, ihr Reitkostüm aufzuknöpfen.
Es klopfte an der Tür, und der Butler erschien mit einem silbernen Tablett. Darauf stand der Tee unter dem Teewärmer. Etwas Warmes zu trinken, dachte Claire, aber sie war nicht allzu begeistert darüber, weil sie wußte, daß die Küchenräume so weit von den Wohnräumen des Hauses entfernt waren, daß das Essen, wenn es seine Empfänger erreichte, in der Regel kalt war. Aber lauwarmer Tee war immer noch besser als gar nichts.
»Rogers«, sagte der Butler im strengen Ton, »Sie werden unten verlangt.«
Claire war sehr froh, daß diese schreckliche kleine Frau sich nicht mit dem Butler anlegte, sondern das Zimmer ohne Widerrede verließ. Als Claire allein war mit dem Butler, streckte sie eine vor Kälte zitternde Hand nach dem Teewärmer aus.
Doch unter dem Teewärmer befand sich keine Teekanne auf dem Tablett, sondern ein kurzes breites Glas, das mit einer Flüssigkeit gefüllt war, die nur Whisky sein konnte. Sie sah den Butler erstaunt an, und er gab ihren Blick mit dem Hauch eines Lächelns zurück.
»MacTarvit?« fragte sie.
»Sein bester. Fünfundzwanzig Jahre alt.«
Claires Hand zitterte, als sie das Glas vom Tablett nahm. »Ich liebe Sie«, flüsterte sie dem Butler zu.
»Viele junge Damen haben das getan«, erwiderte er lächelnd.
Claire versuchte an dem Glas zu nippen, aber als sie diese willkommene Wärme im Magen spürte, wuchs ihr Verlangen danach. Sie setzte das Glas an den Mund und leerte es auf einen Zug. Dann trat sie einen Schritt zurück und hielt sich an einem Bettpfosten fest, um nicht die Balance zu verlieren. Der Butler starrte sie verblüfft an.
»Ich habe gehört, daß Sie eine Schottin sind«, sagte er, und Bewunderung schwang in seiner Stimme mit. »Jetzt glaube ich es.«
In diesem Moment ging die Tür auf, und eine wütende Miss Rogers stürmte herein. »Niemand hat mich unten verlangt«, sagte sie.
Der Butler zog in aller Ruhe den Teewärmer über das Glas auf seinem Tablett und drehte sich zu der Frau um. »Dann habe ich mich möglicherweise geirrt. Läuten Sie nach einem Bad für Ihre Herrin.«
Das war ein Befehl, und Miss Rogers ging gehorsam zum Klingelzug und zog einmal daran.
Claire, die sich immer noch am Bettpfosten festhielt, lächelte dem Butler zu, als er die Tür erreichte. Sie war sich nicht sicher - aber sie glaubte, daß er ein Auge zukniff, ehe er den Raum verließ.
Anderthalb Stunden später hatte sie gebadet und sich ein warmes Wollkleid zum Dinner angezogen. Harry erwartete sie auf dem Korridor vor ihrem Zimmer, und er bot ihr seinen Arm an. Claire wußte, daß sie ihm heute eine Freude gemacht hatte. Zum erstenmal, seit sie sich kennengelernt hatten, unterhielt er sich mit ihr. In der Regel hatte er nicht viel zu sagen, aber heute abend dafür um so mehr -
Weitere Kostenlose Bücher