Zwischen Leidenschaft und Liebe
Spaß machte.
»Ein großartiger Schuß, nicht wahr?« sagte Harry hinter ihr.
Claire drehte sich mit flammenden Augen zu ihm um. »Wie konntest du nur?«
»Wie konnte ich was?« Er war ehrlich verwirrt.
Als sie seine Verständnislosigkeit bemerkte, brach etwas in Claire entzwei. Sie ballte die Hände zu Fäusten und trommelte damit gegen seine Brust. »Du hattest kein Recht, das Tier zu töten. Nicht das geringste Recht! Es war schön, und es gab keinen Grund, es zu erschießen. Du . . .«
Harry fing ihre Hände ein. »Liebling, das sind die Nerven. Das gibt sich. Da kannst du ganz beruhigt sein. Ich weiß, daß ich bei meinem ersten Bock auch ein wenig aufgeregt war.«
Sie wich ein wenig vor ihm zurück und bemerkte, daß ihm überhaupt nicht bewußt war, was sie beschäftigte. »Tust du denn überhaupt nichts Nützliches ?« schrie sie. »Kannst du nichts anderes tun als töten?«
Harry erstarrte. »Ich bin kein Amerikaner, wenn es das ist, was du meinst.«
Claire wich einen Schritt zurück und schlug sich mit der Hand vor den Mund, damit ihr kein Wort mehr entschlüpfte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wie hatte sie so etwas nur zu dem Mann sagen können, den sie liebte? Sie drehte sich um und lief weg.
Sie rannte den Hügel hinunter und über die Felder. Und als sie ihr Pferd erreichte, stieg sie so rasch wie möglich auf, legte das eine Bein fest um das Horn des Damensattels, trieb das Pferd an und galoppierte zum Haus zurück.
Sie betrat das Haus durch den Haupteingang und wurde von ihrer Mutter begrüßt, die inmitten von mindestens hundert Kartons und Kisten stand, die alle Londoner Etiketten trugen.
»Komm und schau dir die herrlichen Sachen an, die ich gekauft habe, Liebes«, sagte ihre Mutter. »Sieh mal - einen Fächer mit Diamanten darauf.«
Claires Augen waren voller Tränen, so daß sie überhaupt nichts sehen konnte. Sie schüttelte nur den Kopf und rannte die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Sobald sie sich in ihrem Schlafzimmer befand, verriegelte sie die Tür zum Korridor und die zum Ankleidezimmer, in dem sich die grauenhafte Miss Rogers meistens aufhielt.
Als sie allein war, warf sie sich aufs Bett und löste sich in einem Strom von Tränen auf. Sie war sich nicht so ganz im klaren, warum sie weinte, und sagte sich, daß sie der Tod des Rehbocks so erschüttert hatte. Aber tief in ihrem Inneren wußte sie, daß es noch einen weiteren Grund für ihre Tränen gab.
Ein paarmal an diesem Tag klopfte jemand an ihre Türen, aber Claire öffnete sie nicht. Sie weinte nur.
Brat befand sich im Stall, als Harry von der Jagd zurückkam. Sie tat so, als wäre sie zufällig dort, aber tatsächlich hatte Cammy Hufschläge gehört und Claire in Tränen aufgelöst zum Haus kommen sehen. Brat war zu den Ställen gelaufen, um zu erfahren, was passiert war. Sie wurde allmählich sauer auf ihre ältere Schwester. Trotz ihrer Intelligenz war Claire nicht sehr gut im Überlegen, was sie eigentlich tun wollte. Claire wurde von dem Gebot regiert, was sie tun sollte. Sie sollte Harry lieben, deswegen tat sie es auch.
Harry kam in den Stall, und Brat sah ihm an, daß er wütend war, und beobachtete ihn schweigend. Sie hatte noch niemandem anvertraut, wie schön sie Harry fand. Ihr gefiel Trevelyans Aussehen sehr, aber Trevelyan war kein Mann, mit dem eine Frau - und Brat betrachtete sich als Frau - leben konnte. Mit Harry hingegen konnte man sein Leben verbringen. Die arme Claire war nur zu dumm, um zu wissen, wie man Harry behandeln mußte.
»Hat sie Sie wieder mal im Stich gelassen, wie?« sagte Brat und Harry drehte sich erschrocken zu ihr um. Brat lächelte ihn an und biß in einen großen roten Apfel.
»Was machen Sie hier?«
»Ich habe auf Sie gewartet«, sagte Brat in verführerischem Ton.
Harry sah sie an und gab ein schnaubendes Lachen von sich. »Sie sollten besser wieder in Ihr Kinderzimmer gehen.«
Brat kicherte nur und ging an ihm vorbei. Sie schwang dabei ihre Hüften, wie sie es bei anderen Frauen beobachtet hatte - Claire tat so etwas niemals. Claire meinte, eine Frau könnte sich einen Mann angeln, indem sie sich mit ihm unterhielt. Brat blieb ungefähr zehn Schritte vor Harry stehen und sah über die Schulter auf ihn zurück. Er beobachtete sie, wie sie es erwartet hatte. »Kommen Sie mich besuchen?« fragte sie. Dann warf sie ihren Apfel weg und rannte zum Haus zurück.
Harry stand einen Moment da und starrte der jungen Frau nach, von der er gedacht hatte, sie sei noch ein Kind.
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