Zwischen Leidenschaft und Liebe
lang sah sie hinter seine kalte rauhe Schale und wußte, daß er einsam ist. Er ist so einsam wie ich, dachte sie. Und er ist genauso ein Außenseiter, wie ich es bin.
Der Moment war fast so rasch vorbei, wie er gekommen war, und dann war da wieder dieser spöttische Blick, der ihr jeden Zugang zu seinem Inneren verwehrte. Es war so, als wollte er keinem erlauben, hinter seine Maske zu schauen. Er schleuderte ihre Hand beiseite, als könne er es nicht länger ertragen, sie zu berühren. »Geh. Geh zu deinem Herzog. Harry möchte dir bestimmt das Pferd zeigen, das er für dich gekauft hat.« Trevelyan drehte sich auf die andere Seite und starrte die Wand an.
Claire traf rasch eine Entscheidung. Sie redete sich zwar ein, daß sie nur blieb, weil Trevelyan krank und pflegebedürftig war. Doch im Grunde ihres Herzens wußte sie es besser. Sie brauchte seine Gesellschaft, seinen raschen Verstand, der sie zum Denken anregte. Zugegeben - er machte sich über sie lustig, war ein Spötter und Zyniker, aber es war so viel Leben in ihm, und diese Vitalität steckte sie an und gab ihr ebenfalls das Gefühl, lebendig zu sein.
Ohne ein Wort zu sagen, verließ Claire das Zimmer, um mit Oman zu reden. Sie schrieb ein Billett, in dem sie Brat mitteilte, daß sie nicht vor dem Dinner ins Haus zurückkäme, und bat sie, Harry so lange hinzuhalten.
Als Claire in Trevelyans Schlafzimmer zurückkam und ihm sagte, sie habe es einrichten können, bis zum Abend bei ihm zu bleiben, fand er es nicht der Mühe wert, sich dafür zu bedanken. Einen Moment war sie versucht, ihre Entscheidung umzustoßen, aber der Gedanke, daß sie den Tag im Haupthaus mit Harrys Verwandtschaft verbringen sollte, war ihr so zuwider, daß sie fast alles getan hätte, um das zu vermeiden.
»Was sollen wir jetzt tun?« fragte sie. »Karten spielen?«
»Ich schreibe drei Stunden, und dann werde ich ...«
»Dann steh auf, und ich gehe.«
Er hätte bei diesen Worten beinahe gelächelt, beherrschte sich aber. »Ich werde dich im Schach besiegen«, sagte er.
»Ja? Bist du davon so überzeugt?«
Später sollte Claire diesen Tag als einen der denkwürdigsten ihres Lebens im Gedächtnis behalten. Sie hatte einen Trevelyan erlebt, der mit anderen Dingen beschäftigt war, und einen Trevelyan, der sich in einem größeren Kreis von Menschen bewegte, aber es war für sie ein einmaliges Erlebnis, der einzige Gegenstand seiner Aufmerksamkeit zu sein.
Sie spielten Schach - gewissermaßen. Denn Trevelyan nahm sich nicht einmal die Zeit, auf das Schachbrett zu blicken. Sie teilte ihm mit, welche Figur sie wohin bewegt hatte, und er sagte sofort, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern oder über seinen Zug nachzudenken, wohin er eine seiner Figuren ziehen wollte.
Und während sie spielten, unterhielten sie sich. Vielmehr - er stellte Fragen, und Claire antwortete darauf. Die Männer, mit denen sie bis jetzt in Berührung gekommen war, hatten nur über sich selbst reden wollen, aber Trevelyan war begierig darauf, alles über sie zu erfahren. Er wollte nicht nur wissen, wie sie in New York gelebt, was sie alles gelesen und gesehen hatte, sondern auch, was sie dachte.
Er fragte sie, wie sie über die Engländer dachte und in welcher Hinsicht sie sich von den amerikanischen Männern unterschieden. Er fragte sie nach ihrer Meinung über die englischen Frauen. Er fragte sie, wie sich die amerikanische Lebensweise von der britischen unterschied.
Claire mußte eine Weile nachdenken. »Ich verstehe die Einstellung der englischen Aristokratie zum Geld nicht. Wenn ein Amerikaner Geld braucht, verdient er es sich. Er findet einen Weg, Geld zu investieren oder etwas zu erfinden, oder er besorgt sich einen Job. Er tut etwas, für das er bezahlt wird.«
»Und ein Engländer macht das anders?«
»Ich weiß nicht, wie sich hier der einfache Mann Geld besorgt - ist es nicht seltsam, daß wir in unserer modernen Welt noch ein Klassensystem haben? -, aber ein Angehöriger der englischen Oberschicht scheint nicht einmal daran zu denken, sich sein Geld zu verdienen. Ich hörte neulich, daß der Graf von Irley fast bankrott sei, und jeder redete nur noch davon, daß er sein Land und seine Häuser verkaufen müsse. Ich erlaubte mir die Bemerkung, ich hätte gehört, daß das Land, das der Graf besitzt, sehr fruchtbar sein soll, und fragte, warum er es nicht bestellen ließe und daraus seinen Gewinn ziehe?«
Sie machte einen Zug auf dem Schachbrett und sah zu ihm auf. »Alle im Zimmer hörten
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