Zwischen Leidenschaft und Liebe
trat ans Fenster. »Schau dir nur dieses herrliche Haus an. Betrachte die Menschen, die darin wohnen. Wir leben am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Es ist schon fast das zwanzigste Jahrhundert, aber dieses Haus hat nicht einmal sanitäre Einrichtungen.« Sie hob in gelinder Verzweiflung beide Hände. »Alle Bewohner dieses Hauses benutzen Nachttöpfe. Das Badewasser muß eimerweise von den Bediensteten über Treppen heraufgeschleppt werden.« Sie sah zum Fenster und dann auf ihn zurück. »Ja, ich liebe die Geschichte dieses Landes. Würde ich hier an einer maßgeblichen Stelle sitzen ... ich weiß nicht, als was ... vielleicht als Regentin von Schottland, würde ich dafür sorgen, daß jeder Mann, jede Frau und jedes Kind dieses Landes die Geschichte seiner Vorfahren kennt. Es betrübt mich, daß so viele Schotten, die ich bisher kennenlernte, nichts von ihrer Geschichte wissen. Kaum ein Kind hat auch nur eine der alten Balladen gehört. Nur wenige von den Erwachsenen wissen von dem Blut, das in dem Bemühen, die Unabhängigkeit von den Engländern zu erringen, vergossen wurde.«
»Was hat das alles mit Badezimmern zu tun?«
»Eine Menge. Es ist zwar gut, wenn man die Vergangenheit seines Landes kennt, aber es ist nicht gut, in ihr zu leben. Es scheint, daß die Leute hier die Traditionen und Überlieferungen ihrer Vorfahren vergessen, aber die Lebensgewohnheiten behalten haben.«
»Ich hatte bisher den Eindruck, daß du an Schottland nichts auszusetzen hättest.«
»Obwohl du dich ständig über mich zu amüsieren pflegst, als wäre ich noch ein Kind, bin ich nicht blind für das, was sich in meiner Umgebung abspielt. MacTarvit wohnt in einer Hütte, die schon seinen Vorfahren vor dreihundert Jahren als Behausung diente.«
»Ich dachte, dir hätte dieses rußige Loch gefallen.«
»Es hat mir gefallen, aber die Armut der Leute, die sich dort versammelten, war mir zuwider. Lord MacTarvit stiehlt Kühe. Er riskiert es, sich bei Harrys Mutter unbeliebt zu machen, indem er sich nimmt, was er braucht, und zweifellos gibt er das meiste davon an seine Dorfbewohner weiter. Er . ..«
»MacTarvit und etwas verschenken? Ha!«
»Er hat drei Kühe gestohlen. Glaubst du, daß ein kleiner Mann das ganze Fleisch allein aufessen kann?«
»Vielleicht hat er sie nacheinander geschlachtet.«
Sie funkelte ihn an. »Unterstellen wir mal, es wäre so gewesen. Glaubst du, er kann eine ganze Kuh allein aufessen?«
Trevelyan lehnte sich zurück und betrachtete sie mit neuerwachtem Interesse. »Und was würde diese Menschen deiner Ansicht nach von dieser Armut befreien? Amerikanische Fabriken? Amerikanische Eisenbahnen, die durch dieses Hochland rollen? Willst du die Berge wegsprengen? Möchtest du, daß Ströme von Touristen ins Land kommen, die diese seltsamen Schotten in ihren karierten Röcken begaffen?«
Claire setzte sich hart auf den Stuhl. »Ich weiß es nicht«, murmelte sie.
Trevelyan sah sie lange an. »Was bekümmert dich das, was aus den Menschen wird, die hier wohnen? Du bekommst dein Geld und deinen Herzog. Was willst du noch mehr?«
»Du verstehst mich noch immer nicht, wie? Als Herzogin habe ich große Verantwortung. Es wird zu meinen Pflichten gehören, für das Wohlergehen dieser Menschen zu sorgen. Wenn sie hungern, muß ich dafür sorgen, daß sie zu essen bekommen.«
Trevelyan ließ ein häßliches kleines Lachen hören. »Du redest von einem Feudalsystem. Aber diese Leute pachten lediglich das Land von uns. Ein Herzog sitzt hier nicht mehr zu Gericht und entscheidet auch nicht über das Schicksal der Leute.« Er schob eine Braue in die Höhe. »Du möchtest die sanitären Einrichtungen des zwanzigsten Jahrhunderts haben und den Clan des sechzehnten Jahrhunderts.«
»Möglich«, sagte Claire leise. »Es scheint alles so kompliziert zu sein.«
Sie saß da und dachte eine Weile über dieses Problem nach, ehe sie lächelte. »Ich weiß nicht, wie ich das machen soll, was ich gern täte, weil ich mir nicht sicher bin, was ich möchte. Aber ich bin entschlossen, einen Versuch zu wagen.«
Er lachte, runzelte dann die Stirn. »Glaubst du, daß Harrys Mutter dir erlauben wird, das zu tun, was du tun möchtest?«
»O ja, natürlich. Harry hat mir gesagt ich könnte tun, was mir beliebt.«
Trevelyan schnaubte ungläubig.
Claire betrachtete das Schachbrett und sah, daß er in der Zwischenzeit weitergespielt hatte - mit sich selbst als Gegner. »Hast du gewonnen oder verloren?« fragte sie ihn.
»Ich habe
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