Zwischen Liebe und Begierde: Im Königreich der Oyesen (German Edition)
drehte sich Jasurea zu Nesean um. Sie stieß die Luft durch die Nase aus, blähte die Nüstern wie ein Pferd. „Was sagst du da? Ich mich verlieben? In ihn? In diesen herzlosen, kühlen Mann von einem König?“
Entschieden schüttelte sie den Kopf.
„Wenn du mich hier unten vergessen…““
„Wie kannst du so was auch nur denken!“, rief Jasurea empört aus. „Woran glaubst du, habe ich die vergangenen vier Wochen jeden Tag gedacht? An dich, Nesean Iku. An dich und nur an dich.“
Nesean eilte zu Jasurea und nahm ihre Hände in seine. „Versprich mir eines, Jasurea. Versprich mir, dass dein Herz immer mir gehören wird.“
Ihre Blicke verschmolzen miteinander, als sie sich mit den Augen umarmten. Jasurea nickte ernst. „Ich verspreche es dir.“
***
„Na, wie ist es so?“, fragte der Alte, als Jasurea die letzte Treppenstufe erklomm und den Kerker damit hinter sich ließ.
„Wie ist was?“, fragte Jasurea verwirrt, in Gedanken noch immer bei ihrer Konversation mit Nesean. Nun richtete sie den Blick auf den Alten, der wie immer hinter seinem Schreibtisch saß, wo er Buch über die Besuche der Gefangenen führte.
„Na, ein Leben zwischen zwei Männern, natürlich.“
Was war heute nur mit den Leuten los?
„Es gibt keine zwei Männer“, knurrte Jasurea zornig.
Der Alte gluckste.
„Wenn du einmal durch die Stadt schlendern würdest, würdest du an jeder Ecke Spekulationen hören.“
Jasurea hielt inne, nicht sicher, ob sie ihrer Neugierde nachgeben und mit dem Alten sprechen oder ob sie ihn einfach ignorieren sollte, wie er es verdient hatte. Sie hatte ihm schließlich noch nicht verziehen, dass er sie beim König verraten hatte.
Ihre Neugierde siegte. „Was sagst du da?“
Es war über einen Monat her, seit sie in der Stadt gewesen war. Sie hatte den letzten Monat in der Abgeschiedenheit des Palastes verbracht und keine Ahnung davon, was man in der Stadt munkelte.
„Du bist im Moment das Gesprächsthema Nummer eins in der Stadt. Das Mädchen, das der König begnadigte.“
Jasurea erblasste. Die Leute sprachen über sie? Die Stadt wusste von ihr?
Jasurea wusste, dass die Stadt Klatsch und Tratsch liebte. Früher hatte sie selbst an geselligen Treffen teilgenommen, an denen der neuste Tratsch ausgetauscht wurde, hatte zugehört und manchmal auch selbst etwas zum Gespräch beigesteuert. Doch sie war in ihren kühnsten Träumen nie auf den Gedanken gekommen, eines Tages selbst zum Thema solcher angeregter Gesprächsrunden zu werden.
Der Alte kicherte ob ihrem verdatterten Gesichtsausdruck.
„Die Leute… man weiß von mir?“
Der Alte rieb sich vergnügt die Hände. „Aber natürlich. Aber alles. Du weißt doch, wie schnell Neuigkeiten hier die Runde machen. Erinnerst du dich daran, wie die Stadt nach der Gefangennahme des Prinzen darüber tuschelte, dass der Vater von Nesean Iku sich nicht auf Verhandlungen einlassen wollte? Die einfachen Leute wussten dies noch vor dem König. Dem Volk entgeht nichts, gar nichts.“
Jasurea schwindelte. Sie fühlte sich benommen. Ihre Gedanken rasten. Natürlich wusste Anaisa über das Schicksal ihrer Nichte Bescheid. Ihre Tante wiederum hatte Jasureas Familie informiert. Tante und Familie waren also im Bilde. Aber- die ganze Stadt? Ihre Freundin Laika, deren Mutter Sumalaika… Jasurea dachte sofort an ihre Freunde und Bekannte, die sich hinter vorgehaltener Hand über sie unterhalten würden. Hinzu kamen all die Leute, die Jasurea nicht kannte und die sich erst gar nicht um Diskretion bemühen würden… Das Buschfeuer des Tratsches!
Jasurea legte sich schützend eine Hand auf den Bauch.
„Was hast du Minosa, fühlst du dich nicht gut? Du siehst so bleich aus.“
Aber Jasurea hörte den Alten nicht. Da schlurfte er zum ersten Mal, seit Jasurea ihn kannte, hinter seinem Tisch hervor. Er nahm ihren Arm. „Komm, setz dich einen Moment.“ Jasurea ließ sich willenlos zum Stuhl hinter seinem Schreibtisch gleiten. Der Alte drückte sie sanft aber bestimmt in den Stuhl.
Jasurea konnte es noch immer nicht fassen. Die Geliebte des Königs zu sein war eine Sache, aber das Gesprächsthema Nummer eins der Stadt zu sein, eine ganz andere. Wie sollte sie all diesen Leuten je wieder unter die Augen treten können?
„Ich denke, du könntest ein Schlückchen vertragen“, murmelte der Alte. Jasurea fragte nicht, was für ein Schlückchen. Abwesend beobachtete sie, wie der Alte zur Wand schlurfte, wo er einen der Ziegel löste, und ihr damit sein
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