Zwischen Liebe und Intrige
Freude haben konnte.
Zum
Glück hatte Sadie Vernunft angenommen, und endlich würde
Myrrh ihm gehören! Seine Großmutter hatte zwar nichts mehr
davon, aber ihm bereitete es Genugtuung, als Enkel der Frau, die sich
nicht einmal ein winziges Fläschchen dieses Duftes hatte kaufen
können, die ganze Firma zu besitzen. Und wenn es das Letzte war,
was er tat – er würde dafür sorgen, dass sich jede
Frau ein Parfüm von Francine leisten konnte.
Natürlich
hätte er sich niemals die Blöße gegeben
einzugestehen, dass es sich beim Kauf von Francine um eine
gefühlsbetonte Entscheidung handelte. In den Geschäftskreisen,
in denen er sich bewegte, zählten nur finanzielle Gewinne, keine
emotionalen. Und nur Männer, die diese finanziellen Gewinne
erzielten, wurden respektiert.
Leon
war in einer rauen Welt groß geworden. Er hatte miterlebt, wie
hart seine Eltern am Aufbau der Firma gearbeitet hatten, nur um sie
dann beinahe zu verlieren, als sie gerade anfing, wirklich Gewinn
abzuwerfen. Der Schock und die Anstrengungen dieser schweren Zeiten
hatten die Gesundheit seines Vaters ruiniert. Diese traumatischen
Erfahrungen hatten in dem jungen Leon den eisernen Willen geweckt,
alles zu tun, um seine Familie zu beschützen. Er hatte sich
vorgenommen, das Unternehmen auf eine so solide finanzielle Grundlage
zu stellen, dass er nie wieder mit ansehen musste, wie das Gesicht
seines Vaters vor Hilflosigkeit und Verzweiflung aschfahl wurde und
seiner Mutter vor Angst Tränen in den Augen schimmerten.
Inzwischen
hatte er aus dem Familienbetrieb ein erfolgreiches Großunternehmen
gemacht, und als Multimillionär standen ihm alle Türen
offen. Doch ein Teil von ihm fühlte immer noch den Schmerz und
die Wut des vierzehnjährigen Jungen über die Armut und die
Demütigungen, die seine Großmutter hatte erleiden müssen.
Seinen
eigenen Kindern würde er einmal alles über ihre
Urgroßmutter erzählen. Sie würden in respektvollem
Andenken an sie aufwachsen, damit sie verstanden, dass man mit Geld
weder Klugheit und Charakterstärke noch Liebe kaufen konnte.
Falls Sadie etwas dagegen hatte, dann war sie nicht die Frau, für
die er sie hielt …
Leon
ließ sein Besteck mit lautem Klappern auf den Teller fallen,
und Sadie sah ihn verwirrt an. Bevor sie ihn auf seine erschrockene
Miene ansprechen konnte, kam er ihr mit der Frage zuvor, ob sie
bereits die Wellness-Einrichtungen des Hotels benutzt habe.
"Nein",
sagte sie, "und Sie?"
"Ich
auch nicht. Ich hatte einfach noch keine Zeit dazu."
Sadie
stieß einen leisen, wohligen Seufzer aus. Vor mehr als einer
Stunde hatten sie und Leon ihr Abendessen beendet und saßen nun
auf einem der verführerisch bequemen Sofas in der Bar.
Sie
waren die letzten Gäste, und das Brennholz im Kamin war zu einem
Haufen glühender Asche niedergebrannt. Sadie konnte nicht einmal
sagen, worüber sie im Einzelnen gesprochen hatten, aber die Zeit
war auf wunderbare Weise verflogen. Leon schien zu ahnen, was in ihr
vorging, denn jedes Mal, wenn sie ihre aufregenden Zukunftspläne
und das neue Parfüm ansprechen wollte, lenkte er das Gespräch
geschickt in eine andere Richtung. Und die ganze Zeit über, jede
Minute, jede Sekunde, hatte er sie in einer Weise angesehen, die …
"Mir
scheint, wir sind hier nicht länger erwünscht", meinte
er jetzt mit einem belustigten Blick auf den Barkeeper, der
demonstrativ mit dem Saubermachen begann. "Ich bringe Sie noch
zu Ihrem Zimmer."
Draußen
war es so kühl, dass Sadie froh war über die Stola, die sie
mitgenommen hatte. Und ihre Freude war noch größer, als
Leon schweigend das Tuch nahm und es ihr sanft um die Schultern
legte. Bildete sie es sich nur ein, oder strich er dabei absichtlich
mit den Fingern über ihre nackte Haut?
Der
gewundene Pfad, der die Anhöhe zu den Nebengebäuden
hinaufführte, war geschickt ausgeleuchtet. Am sternenübersäten
Nachthimmel stand silbrig schimmernd der Mond.
Hinter
einer Kurve führte der Weg so unvermittelt in ein dunkles, nach
Harz und Pinien duftendes Wäldchen hinein, dass Sadie beinahe
gestolpert wäre, hätte Leon sie nicht gestützt.
"Danke."
Im Mondlicht sah sie sein Gesicht, und sein intensiver Blick
verursachte ihr wildes Herzklopfen. "Ich habe die Stufe nicht
gesehen." Ihre nüchternen Worte standen in krassem
Gegensatz zu ihren Gefühlen.
"Ich
bin überrascht, dass dieser Teil des Weges nicht besser
beleuchtet ist. Angenehm überrascht", sagte Leon rau.
Angenehm
überrascht? Sadie war nicht sicher, ob sie
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