Zwischen Macht und Verlangen
kümmerte sich nicht darum, doch dann fiel ihm ein, dass seine Sekretärin zum Essen gegangen war. Ärgerlich, weil er in seinem Gedankengang gestört wurde, drückte er auf den rot leuchtenden Knopf. „Senator MacGregor.“
„Danke schön.“
Alans Lippen umspielte ein Lächeln, während er sich im Stuhl zurücklehnte. „Gern geschehen. Wie schmecken sie?“
Shelby steckte eine besonders rote, saftige Frucht in den Mund und flüsterte: „Phantastisch. Mein Laden duftet wie eine Erdbeerplantage. Zum Teufel mit Ihnen, Alan!“ Sie schluckte, und ihre Aussprache wurde deutlicher. „Erdbeeren sind eine unfaire Taktik. Man greift mit Orchideen an oder mit Brillanten! Mir hätten ein mehrkarätiger weißer Diamant oder fünf Dutzend afrikanische Orchideen auch genügt.“
Alan spielte mit dem Bleistift, der vor ihm lag. „Sie können sich drauf verlassen, dass ich Ihnen weder das eine noch das andere schenken werde. Wann sehen wir uns, Shelby?“
Sie schwieg einige Sekunden lang, war hin- und hergerissen, hätte nur zu gern ja gesagt. „Alan, es hätte wirklich keinen Zweck! Ich erspare uns beiden eine Menge Ärger, indem ich ablehne.“
„Nach meinem Eindruck sind Sie nicht der Typ, der dem Ärger unbedingt aus dem Weg geht.“
„Vielleicht sonst nicht, aber in Ihrem Fall ganz bestimmt. In vielen, vielen Jahren – wenn Sie zehn Enkelkinder haben und einen langen Bart – werden Sie mir dankbar sein.“
„Soll ich tatsächlich so lange warten, bis Sie mit mir zum Essen gehen?“
Shelby lachte herzlich und verwünschte ihn gleichzeitig. „Ich mag Sie wirklich leiden.“ Dann hörte er sie seufzen. „Versuchen Sie es nicht weiter mit ihrem Charme, Alan. Wir geraten beide auf dünnes Eis. Ich könnte nicht ertragen, noch einmal einzubrechen.“
Alan wollte etwas entgegnen, aber da leuchteten die Signallampen auf. Das war das Zeichen für die Abgeordneten, sich wieder zu versammeln. „Shelby – ich muss zur Sitzung! Wir reden ein andermal weiter.“
„Nein“, entgegnete Shelby mit fester Stimme. Sie ärgerte sich, dass sie schon länger als beabsichtigt mit Alan geplaudert hatte. „Ich wiederhole mich ungern, das langweilt mich. Denken Sie daran, dass ich Ihnen soeben einen großen Gefallen erwiesen habe. Leben Sie wohl, Alan.“
Sie warf den Hörer auf die Gabel und schob den Korb heftig zur Seite. Wie war es ihm nur so schnell gelungen, sich in ihr Herz einzuschleichen?
Während sich Shelby für Myras Dinnerparty ankleidete, hörte sie einem alten Bogart-Film zu. Diese Art von Sprechfunk hatte sich ergeben, als ihr Fernsehgerät vor zwei Wochen teilweise den Dienst versagte und sich plötzlich weigerte, ein normales Bild zu liefern. Erst hatte Shelby aus Bequemlichkeit keinen Reparaturservice in Anspruch genommen, und dann gefiel ihr nach und nach diese Lösung sogar besser. Der Ton drang klar und deutlich aus dem Gerät, und der leere Bildschirm regte ihre Vorstellungskraft an.
Shelby entschied sich für Sandalen und stopfte einige notwendige Utensilien in ihre Handtasche: die Haustürschlüssel, einen abgenutzten Lippenstift und eine halbe Rolle Pfefferminz.
„Bleibst du heute Abend zu Hause, Moische?“ erkundigte sie sich im Vorbeigehen bei dem Kater, der nur müde mit seinem Auge zwinkerte und sofort weiterschlief. „Dann bis später, meine Lieben!“ Sie griff vorsichtig nach dem Karton mit der Lampe, als jemand an der Ladentür klopfte. „Erwartest du Freunde, Tante Emma?“ fragte sie den Papagei. Der rollte nur mit seinen runden Augen und schwieg wie immer. Shelby vollführte eine Art Balanceakt mit ihrem unförmigen Paket und öffnete.
Ihr Herz schlug schneller, aber gleichzeitig war sie verstimmt, als sie Alan erkannte. „Wieder ein nachbarlicher Besuch?“ Shelby blieb in der Tür stehen und versperrte so den Eingang. Der Senator trug einen dunklen Abendanzug. „Sie schauen nicht aus, als wollten Sie einen Bummel machen!“
Ihr Sarkasmus störte Alan gar nicht, denn er hatte gesehen, wie ihre grauen Augen bei seinem Anblick aufleuchteten. „Als Diener des Volkes habe ich die Aufgabe, mich um das Wohl und die Sicherheit meiner Mitmenschen zu kümmern.“ Er beugte sich vor und steckte eine Gardenienblüte in Shelbys Haar. „Es ist mir eine Ehre, Sie zu den Ditmeyers begleiten zu dürfen. Man könnte es als eine Transport-Interessengemeinschaft bezeichnen.“
Zarter Duft aus der Gegend ihres rechten Ohres stieg Shelby in die Nase. Gern hätte sie die feine Blüte mit der
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