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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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geglaubt, nie mehr ein Lebewesen auf diese Weise verletzen zu können, ohne Reue oder Bedauern zu empfinden. Aber im Wohnzimmer des Hauses in der Lacemaker Lane empfand sie keines von beiden. Vielleicht weil sie zuletzt in Notwehr gehandelt hatte. Vielleicht gab es aber auch einen ganz anderen Grund dafür.
    »Ramona«, sagte sie, »im Augenblick fühle ich eine gewisse Verwandtschaft mit Richard Widmark. So machen wir’s mit Verrätern, Schätzchen.«
    Norville stand in einer Lache aus eigenem Blut, und auf ihrem Morgenmantel waren schließlich blutige Mohnblüten erschienen. Sie war kreidebleich im Gesicht. Ihre unnatürlich geweiteten Augen glitzerten vor Schock. Die Zungenspitze erschien und glitt langsam über die Unterlippe.
    »Jetzt können Sie sich lange rumwälzen und darüber nachdenken - wie finden Sie das?«
    Norville sackte zusammen. Ihre Männerschuhe machten in der Blutlache quatschende Geräusche. Sie tastete nach einem der anderen Regale und riss es dabei von der Wand. Ein Trupp Glücksbärchis kippte nach vorn und verübte Selbstmord.
    Obwohl Tess nach wie vor weder Reue noch Bedauern empfand, merkte sie, dass sie trotz ihres großspurigen Geredes wenig von Tommy Udo in sich hatte; sie verspürte keinen Drang, Norvilles Leiden zu beobachten oder zu verlängern.
Sie bückte sich und hob den Revolver auf. Aus der rechten Vordertasche ihrer Cargohose zog sie den Gegenstand, den sie aus der Küchenschublade neben dem Herd mitgenommen hatte: einen dick wattierten Topfhandschuh. Er würde einen einzelnen Schuss recht wirkungsvoll dämpfen, solange das Kaliber nicht allzu groß war. Das hatte sie in Erfahrung gebracht, als sie Der Strickclub Willow Grove macht eine Fahrt ins Blaue geschrieben hatte.
    Man wusste nie, wann Recherchen sich als nützlich erweisen würden.
    »Sie verstehen das nicht.« Norvilles Stimme war ein heiseres Flüstern. »Das dürfen Sie nicht tun. Sie machen einen Fehler. Bringen Sie mich … Krankenhaus.«
    »Den Fehler haben Sie gemacht.« Tess zog den Topfhandschuh über den Revolver in ihrer rechten Hand. »Als Sie Ihren Sohn nicht haben kastrieren lassen, sobald Sie wussten, wie er veranlagt ist.« Sie presste den Handschuh an Ramona Norvilles Schläfe, drehte den Kopf leicht zur Seite und drückte ab. Dabei war ein dumpfes, nachdrückliches Plah! zu hören, so als räusperte sich ein großer Mann energisch.
    Das war alles.

35
    Nach Al Strehlkes Adresse hatte sie nicht gegoogelt; sie hatte erwartet, sie von Ramona Norville zu erfahren. Aber wie sie sich schon selbst mahnend gesagt hatte, liefen solche Dinge nie nach Plan ab. Für sie kam es jetzt darauf an, einen kühlen Kopf zu bewahren und den Job zu Ende zu bringen.
    Norvilles Arbeitszimmer lag im Obergeschoss, ein Raum, der vermutlich als Gästezimmer gedacht gewesen war. Dort
gab es weitere Glücksbärchis und Hummel-Figuren. Außerdem ein halbes Dutzend gerahmter Fotos, allerdings keines von ihren Söhnen, ihrer Geliebten oder dem verstorbenen großen Roscoe Strehlke; hier hingen signierte Fotos von Schriftstellern, die vor den Brown Baggers gesprochen hatten. Dieser Raum erinnerte Tess an das Foyer des Stagger Inn mit seinen Fotos von Rockbands.
    Mich hat sie nicht gebeten, mein Foto zu signieren, dachte Tess. Natürlich nicht, weshalb sollte sie den Wunsch haben, an eine beschissene Schreiberin wie mich erinnert zu werden? Ich war im Prinzip nur eine Sprechpuppe, die eine Lücke in ihrem Veranstaltungskalender füllen sollte. Von Fleisch für den Fleischwolf ihres Sohns ganz zu schweigen. Was für ein glücklicher Zufall für die beiden, dass ich genau zur rechten Zeit aufgekreuzt bin.
    Auf Norvilles Schreibtisch stand unter einer Pinnwand voller Rundschreiben und Bibliotheksnotizen ein Mac, der Tess’ Computer sehr ähnlich sah. Der Bildschirm war dunkel, aber das Signallämpchen des Rechners zeigte ihr, dass der Mac sich nur im Ruhezustand befand. Sie tippte mit einer behandschuhten Fingerspitze auf eine der Tasten. Der Bildschirm wurde neu aufgebaut, und sie hatte Norvilles elektronischen Schreibtisch vor sich. Ganz ohne diese verdammten Passwörter, wie nett.
    Sie klickte das Adressbuch-Icon an, scrollte zum Buchstaben R hinunter und fand einen Eintrag für Red Hawk Trucking. Die Anschrift war 7 Transport Plaza, Township Road, Colewich. Sie scrollte zum Buchstaben S weiter und fand nicht nur ihren übergroßen Bekannten von Freitagnacht, sondern auch Lester, den Bruder ihres Bekannten. Big Driver und Little

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