Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
bewahren kann, dann kannst du das auch. Denk daran, dass es eine vernünftige Erklärung für das alles gibt …
Ach, wirklich?
… die du nur noch nicht kennst. Du brauchst Zeit, um über alles nachzudenken. Also: Ruhig.
Darcy nahm den Hörer ab und sagte munter: »Wenn du’s bist, Hübscher, dann kannst du gleich rüberkommen. Mein Mann ist verreist.«
Bob lachte. »He, Schatz, wie geht’s dir?«
»Aufrecht und die Luft schnüffelnd. Und dir?«
Darauf folgte langes Schweigen. Es fühlte sich jedenfalls lange an, obwohl es nicht länger als ein paar Sekunden gedauert haben konnte. In diesem Zeitraum hörte Darcy das irgendwie schreckliche Summen des Kühlschranks, das Wasser, das auf den Teekessel im Ausguss tropfte, und den Puls des eigenen Herzens, dessen Schläge nicht aus der Brust, sondern aus Kehle und Ohren zu kommen
schienen. Sie waren so lange verheiratet, dass sie geradezu extrem aufeinander abgestimmt waren. Passierte das in jeder Ehe? Das wusste sie nicht. Sie kannte nur die eigene. Aber jetzt musste sie sich fragen, ob sie überhaupt diese kannte.
»Deine Stimme klingt komisch«, sagte er. »Irgendwie ganz belegt. Alles in Ordnung, Süße?«
Sie hätte gerührt sein sollen. Stattdessen war sie verängstigt. Marjorie Duvall: Dieser Name stand ihr nicht nur vor Augen, sondern schien wie die Neonreklame einer Bar zu blinken. Sie war einen Augenblick lang sprachlos, und zu ihrem Entsetzen schwankte die Küche, die sie so gut kannte, vor ihren Augen, als ihr abermals die Tränen kamen. Auch die krampfartige Schwere im Unterleib kehrte zurück. Marjorie Duvall. Blutgruppe A Rhesus positiv. 17 Honey Lane. Nach dem Motto: Hallo, Schatz, wie geht’s, wie steht’s, aufrecht und die Luft schnüffelnd?
»Ich musste nur gerade an Brandolyn denken«, hörte sie sich selbst sagen.
»Oh, Baby«, sagte er, und das Mitgefühl in seiner Stimme war typisch für Bob. Sie kannte es gut. Hatte sie sich seit 1984 nicht oft darauf verlassen? Sogar schon vorher, als er noch um sie geworben und sie allmählich erkannt hatte, dass er der Richtige war? Gewiss hatte sie das getan. Wie er sich auf sie gestützt hatte. Die Idee, solches Mitgefühl könnte nichts als Zuckerguss auf einer vergifteten Torte sein, war verrückt. Die Tatsache, dass sie ihn in diesem Augenblick belog, war noch verrückter. Das heißt, falls es überhaupt Abstufungen von Verrücktheit gab. Oder vielleicht war »verrückt« ein Begriff wie »einzigartig«, für den es keine Steigerungsformen gab. Und was dachte sie wirklich? Was, um Himmels willen?
Aber er redete, und sie hatte keine Ahnung, was er eben gesagt hatte.
»Erzähl’s mir noch mal. Ich habe gerade nach meinem Tee gegriffen.« Noch eine Lüge, ihre Hände waren viel zu zittrig, um nach irgendetwas greifen zu können, aber eine plausible Notlüge. Und ihre Stimme zitterte nicht. Wenigstens glaubte sie das.
»Ich habe gefragt: Wie bist du darauf gekommen?«
»Donnie hat angerufen und nach seiner Schwester gefragt. Dabei habe ich an meine denken müssen. Ich bin rausgegangen und ein bisschen herumgelaufen. Ich bin ins Schniefen gekommen, aber daran war zum Teil auch die Kälte schuld. Das hast du wahrscheinlich in meiner Stimme gehört.«
»Ja, sofort«, sagte er. »Hör zu, ich könnte morgen Burlington auslassen und gleich nach Hause kommen.«
Darcy hätte beinahe Nein! gerufen, aber das wäre genau die falsche Reaktion gewesen. Sie konnte bewirken, dass er bei Tagesanbruch losfuhr, ganz der besorgte Ehemann.
»Wenn du das tust, verpasse ich dir ein blaues Auge«, sagte sie und war erleichtert, als er lachte. »Charlie Frady hat dir erzählt, dass es sich lohnt, zu dieser Nachlassversteigerung in Burlington zu fahren, und er hat gute Kontakte. Und einen guten Riecher. Das hast du immer selbst gesagt.«
»Genau, aber mir gefällt es nun mal nicht, wenn du so deprimiert klingst.«
Dass er gespürt hatte (und zwar sofort! sofort! ), dass mit ihr etwas nicht in Ordnung war, war schlecht. Dass sie hatte lügen müssen, was den Grund dafür betraf … ach, das war noch schlimmer. Sie schloss die Augen, sah Bad Bitch Brenda unter der schwarzen Kapuze schreien, und öffnete sie wieder.
»Ich war ein bisschen down, aber das ist vorbei«, sagte sie. »Nur eine vorübergehende Anwandlung. Sie war meine
Schwester, und ich habe gesehen, wie mein Vater sie nach Hause gebracht hat. Daran muss ich manchmal denken, das ist alles.«
»Ja, ich weiß«, sagte er. Wohl wahr. Der Tod ihrer
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