Zwischen Olivenhainen (German Edition)
und stand vom Bett auf, auf dem sie mit Anne und Melissa gesessen und möglichst unbeteiligt Annes Vorstellungen ihres „Dann-wollen-wir-ihm-mal-sein-Eis-vermiesen-Plan“ gelauscht hatte. Jetzt blickten Anne und Melissa relativ verwirrt zu ihr hoch.
„Was ist?“, fragte Anne. Melissa kaute auf ihren Chips herum, die sie von ihrem Vater bekommen hatte. Im Moment war das das einzige Geräusch im Zimmer.
„Nichts“, sagte Leslie schnell, „ich hab’ nur über was … nachgedacht.“
„Soso“, sagte Anne spitz, aber sie hakte nicht weiter nach. Zögernd setzte Leslie sich wieder hin. Verflucht, sie musste Melissa fragen. Aber in der Situation war es absolut unpassend.
„Meli?“, fragte sie vorsichtig. „Hat dein Vater dir von … irgendwas … erzählt?“ Sie biss sich auf die Unterlippe, versuchte, ruhig und unbeteiligt auszusehen.
„Hm? Von was?“, entgegnete Melissa und schob sich drei Chips in den Mund. Ihre dunklen Brauen hatten sich begriffsstutzig zusammengeschoben.
„Von einem Gespräch … oder so?“, sagte Leslie leise.
„Das, um das er dich gebeten hat? Unter vier Augen?“, fragte Melissa kauend. Oh, verdammt. Leslie nickte. Entspannt setzte sich Melissa in den Schneidersitz.
„Nö, davon hat er nichts erzählt“, behauptete sie schulterzuckend. „Aber wenn du’s tun willst: Ich bin ganz Ohr.“
Doch Leslie winkte hastig ab. „Schon gut“, sagte sie und vor lauter Erleichterung griff sie in Melissas Chipstüte und ignorierte Annes erstaunten Blick.
„Dein Vater hat also Geheimnisse?“, fragte Anne.
„Ja“, entgegnete Melissa, „geschäftliche Dinge, die topsecret sind, wie er es immer ausdrückt. Was weiß ich! Ich finde es nicht ganz so interessant, was er macht, als dass ich alles wissen wollte. Manchmal höre ich nur seltsame Dinge, wenn er mit jemandem am Telefon spricht – aber können wir jetzt den Plan zu Ende austüfteln?“
Das taten Melissa und Anne dann auch. Leslie hörte nicht zu. Sie bemühte sich krampfhaft, nicht augenblicklich irgendwelche Geheimnisse von Gosetti in Verbindung mit dem zu bringen, was er ihr erzählt hatte. Das wäre auch lächerlich, dachte sie. Den Impuls, mit Hilfe von Annes Laptop im Internet nach dem angeblichen Versicherungsbetrug und den Ruggieros zu suchen, unterdrückte sie erfolgreich, auch wenn der Laptop verlockend vom Tisch neben Annes Bett zu ihr herüberblinkte.
In dieser Nacht konnte Leslie nicht einschlafen. Unruhig drehte sie sich von einer Seite auf die andere, bis sie es nicht mehr aushielt. Leise setzte sie sich auf, vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass Anne schlief, und schlich dann leise auf Zehenspitzen hinüber zum Fenster, um es zu öffnen. Ganz dunkel war es draußen auf den Straßen noch nicht, einige Fenster waren noch hell erleuchtet. Autos, die vereinzelt auf der am Tag so vollen Straße vorbeifuhren und die Straßenlaternen zwischen den Palmen am Rande des Gehweges, hinderten die Nacht daran, ihre schwarzen Schatten über die gesamte Stadt zu legen und zum ersten Mal fiel Leslie der angenehm süßliche Geruch auf, der in der warmen Luft lag. Sie beugte sich noch weiter aus dem Fenster und atmete tief ein. Es roch nach Orangenblüten. Der schwache Wind, der die Schatten einiger Palmen am Straßenrand über die Hauswände tanzen ließ, trug den Duft ins Zimmer und Leslie atmete noch tiefer ein, fast war es ihr, als könne sie die Orangen auf der Zunge schmecken und vor ihrem geistigen Auge sah sie die riesigen Orangengärten am Fuße des Ätna, in denen die Früchte darauf warteten zu Saft gepresst zu werden.
„Sag mal, wirst du zum Vampir oder so?“, nuschelte es plötzlich verschlafen neben ihrem rechten Ohr. Anne lehnte sich aus dem Fenster und tat einen tiefen Atemzug.
„Hm“, sagte sie, „Orangenblüten.“ Dann standen sie eine Weile am geöffneten Fenster und genossen den süßlichen Wind, der zu ihnen herein wehte, durchzogen von einer Prise Meer, und blickten hinaus über die Dächer von Palermo.
„Ich konnte nicht schlafen“, sagte Leslie nach einer Weile.
„Das hab’ ich gemerkt“, entgegnete Anne. Sie klang nun ein wenig wacher.
„Ich glaube, ich denke einfach zu viel nach über Sachen, für die es wahrscheinlich eine ganz vernünftige Erklärung gibt“, murmelte Leslie.
„Über deinen Romeo?“ Anne lachte leise.
„Er heißt Raffaello“, sagte Leslie. Was hatte sie nur daran gehindert, ihrer besten Freundin seinen Namen zu
Weitere Kostenlose Bücher