Zwischen Pflicht und Sehnsucht
antwortete ihr der Soldat. Es sah so aus, als würde Sophie den Mann eingehend befragen. Bald griff sie nach ihrem Retikül, zog ein Stück Papier heraus und kritzelte etwas darauf.
In diesem Moment traf ihre offene Kalesche ein, und Charles, der Miss Ashford hineinhalf, verpasste das Ende der seltsamen Begegnung. Er gab die Anweisung zum Aufbruch und bemerkte, als sie vorbeifuhren, dass der unglückliche Mann das Papier fest umklammert hielt und der abfahrenden Sophie in benommenem Staunen hinterherstarrte. Charles wusste nicht, was sie zu ihm gesagt hatte, aber er erkannte diesen verwirrten Blick. Es war ein Ausdruck, dem man häufig in Sophies Nähe begegnete. Er selbst hatte ihn öfters aufgesetzt, als er zählen konnte.
Sie war eine Naturgewalt, seine Sophie. Allein was auf Lady Edgewares Ball geschehen war! Ein paar Minuten allein mit ihr, und schon hatte er seine Rolle vergessen. Seine Schuld vergessen. Seine Vorsicht vergessen und so gelacht, wie er seit Phillips Tod nicht mehr gelacht hatte.
Sophie faszinierte ihn und jagte ihm doch Angst ein. Sie kannte ihn zu gut. So leicht hatte sie die Schrammen in seiner Rüstung entdeckt. Er durfte sie niemals tiefer blicken lassen. Sie könnte herausfinden, dass darunter nichts mehr von ihm übrig war.
Sie würden Freunde bleiben, hatte er ihr gesagt, obwohl sie beide diesen Funken spürten, dieses Potenzial für mehr. Vielleicht war es diese kribbelnde Erinnerung daran, dass unter der Hülle des ehrbaren Viscounts tatsächlich noch ein Mann aus Fleisch und Blut existierte, die ihn am meisten erschreckte.
Und schließlich war sie immer noch Sophie. Immer noch unerhört, sehr direkt und unkonventionell. Diese Qualitäten hatte er an ihr immer geschätzt – nun waren sie genau der Grund, warum er sie meiden musste.
Gerade jetzt, wo sein Plan aufzugehen schien. Seine politischen Aussichten hatten sich wieder verbessert. Auf Lady Edgewares Ball war Sir Harold Luskison an ihn herangetreten, ein einflussreiches Mitglied der Handelskammer. Der Gentleman hatte zunächst nur höfliche Konversation getrieben, ihm schließlich jedoch freundschaftlich auf den Rücken geklopft und seine Aufmerksamkeit Miss Ashford gegenüber gutgeheißen.
„Ich weiß, Sie haben in der letzten Zeit einiges durchgemacht“, hatte Sir Harold gesagt. „Averys unsinnige Behauptungen kann man leicht ignorieren, aber dazu noch der Rufmord durch die Zeitungen? Schon schwieriger. Ich weiß, ich bin nicht der Einzige, der bemerkt hat, dass all diese veröffentlichen Eskapaden nur Schatten einer zweifelhaften Vergangenheit waren.“ Er hatte ein verschwörerisches Grinsen aufgesetzt. „Wissen Sie, dass ich selbst einmal Opfer eines Ihrer Streiche war?“
Charles erinnerte sich sehr wohl an die Episode. Das Wirtshaus Lady’s Slipper war der Schauplatz der berüchtigtsten Schlägerei, in die er und seine Kumpane je verwickelt gewesen waren. Der Wirt hatte vor Wut getobt und ihn und seine Freunde auf die Straße werfen lassen.
In der darauffolgenden Nacht hatte er sich mit einem kleinen Kessel, der wie ein Damenschuh geformt war, in Anlehnung an das berühmte Wahrzeichen der Wirtschaft, vor der Taverne eingefunden. Er hatte seinen besten Rumpunsch zubereitet, ihn kostenlos an jeden Passanten ausgeschenkt und so das Geschäft des Wirts ruiniert und ihn damit noch wütender gemacht. Der Mann hatte die Wache gerufen, und er war nur mit Glück entkommen.
Sir Harold, immer noch grinsend, hatte hinzugefügt: „Ich wage zu behaupten, dass nicht einer unter uns ist, der nicht die eine oder andere haarige Geschichte aus seiner Jugend erzählen kann. Sie sollen nur wissen, dass Sie Befürworter haben. Die Energie und Hingabe, die Sie an den Tag legen, seit Sie den Titel tragen, spricht für Sie.“ Er hatte in Richtung Tanzfläche gedeutet. „Gütiger Himmel, seit Jahren ist keine Brautwerbung mehr so genau beobachtet worden. Aber Sie machen das gut. Ein anständiges Mädchen aus guter Familie mit ebensolchem Ruf wird für Ihr Urteilsvermögen sprechen und dafür sorgen, dass man Ihre Vergangenheit ruhen lässt.“
Charles war ergriffen von so viel Unterstützung gewesen. Sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht, sein Plan war aufgegangen. Er hatte sich in seiner Handlungsweise bestätigt gefühlt.
Bis er beinahe Sophie geküsst hätte.
„Was denken Sie, Mylord?“
Sogar ihre Unterbrechungen kommen zum perfekten Zeitpunkt, dachte Charles und fügte dies zu seiner Liste der „Gründe, Miss Ashford
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