Zwischen Pflicht und Sehnsucht
weniger vom Schicksal Begünstigten interessieren. Die „Nicht Miss Ashford“- Seite bekam langsam mehr Haken, als ihm lieb war.
„Ich fürchte, ich muss Sie warnen. Miss Westby war nie eine Freundin von Diskussionen. Wenn sie sieht, dass ein Übel geschieht, greift sie eher selbst ein, als dass sie sich hinsetzt und darüber spricht.“
„Ja“, stimmte Miss Ashford zu, „und das ist genau der Charakterfehler, den ich auszumerzen hoffe. Wissen Sie, was sie zur Duchess of Charmouth gesagt hat?“
Charles konnte es sich vorstellen. „Nein, aber ich vermute, sie hat den kalten und zugigen Ballsaal kritisiert, in dem Ihre Gnaden ihre Feste gibt.“ Die feine Gesellschaft durchlitt Jahr für Jahr stumm zitternd dieses Ereignis. Er musste fast lachen, wenn er sich vorstellte, wie Sophie der alten Schreckschraube eine Standpauke hielt.
„Schlimmer“, erklärte Miss Ashford, „sie hat auf jeden architektonischen Mangel des Raumes aufmerksam gemacht und dann Ihrer Gnaden direkt ins Gesicht gesagt, sie kenne einen Baumeister, der das reparieren kann …“, sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, „… zu einem günstigen Preis! “
Charles lachte laut auf, aber er bemühte sich um Selbstbeherrschung, als er Miss Ashfords schockierten Blick bemerkte.
„Das ist nicht zum Lachen, Sir. Solche Anmaßungen von Miss Westby dürfen wir nicht ermutigen.“
„Und war die Duchess beleidigt?“
„Nein, war sie nicht.“ Dies verwirrte Miss Ashford offensichtlich. „Aber es hätte leicht der Fall sein können.“
„Was genau war ihre Antwort auf Miss Westbys Rat?“
„Sie sagte, sie wäre in der Tat erfreut, jemanden zu treffen, der trotz ihres Titels vernünftig mit ihr spräche, und noch erfreuter, von einem Mann zu erfahren, der sie nicht wegen eben dieses Titels zu betrügen versuchen würde.“
Charles lachte leise, aber er verstand, was Miss Ashford sagen wollte. Doch auch wenn vor seinem geistigen Auge Bilder von Sophie aufstiegen, wie sie vernichtenden Tadel und gesellschaftliche Schande über sich brachte, die ihn drängten, sich von seiner Jugendfreundin zu distanzieren, wusste er tief im Herzen, dass er das nicht tun würde. Er würde ihr beistehen, was auch geschah.
Es ist eine Schande , flüsterte eine Stimme aus einem tief vergrabenen Teil seiner selbst, dass du ihr nicht genug vertraust, um sie dasselbe für dich tun zu lassen.
Am späten Vormittag trafen sie in Sevenoaks ein. Kurze Zeit herrschte Chaos, als das Hauspersonal herauskam, um sie zu begrüßen, die Stallburschen ausschwärmten, um sich um Pferde und Kutschen zu kümmern, und die Diener sich daranmachten, auszuladen und den besten Platz für das Picknick ausfindig zu machen.
Für Sophie kam ihre Ankunft keinen Moment zu früh. Sie war die ganze Fahrt über unruhig auf ihrem Sitz hin und her gerutscht und hatte sich damit entschuldigt, dass sie darauf brannte, mit ihrem Projekt zu beginnen. Was sie nicht zugeben konnte, war, wie enervierend sie den Anblick von Charles und Miss Ashford zusammen fand. Der Gedanke, sie gemeinsam durch den Garten wandeln, auf dem See rudern oder eins der tausend anderen Dinge tun zu sehen, die werbende Paare tun, war unerträglich. Deshalb hatte sie sich beeilt, sich mit der Haushälterin anzufreunden, und war mit ihr und Lady Dayle davongerauscht, froh, sich von ihrem Unbehagen durch ihre Arbeit ablenken zu lassen.
Verwirrte Gefühle waren leicht zu ignorieren, wenn man ein ganzes Haus neu einrichten durfte. Sophie hatte die Pläne des Anwesens studiert; sie hatte sich die Räume vorgestellt, aber das war nicht zu vergleichen mit der Wirklichkeit: die Wände zu berühren, den Lichteinfall zu studieren, Stoffe über Möbel zu drapieren und im Geiste ein muffiges, vernachlässigtes altes Haus in einen Ort der Wärme und des Lebens zu verwandeln.
Einige selige, ungestörte Stunden lang stieg Sophie auf Leitern, maß nach, kratzte Lack ab, verschob Dinge und kritzelte Seite um Seite mit Notizen und Zeichnungen voll. Das, genau das war das Paradies, und sie sträubte sich, als Lady Dayle und Emily schließlich kamen und darauf bestanden, dass sie sich der Picknickgesellschaft anschloss und etwas aß.
„Ich bitte Sie, kommen Sie“, beschwatzte Lady Dayle sie, die sie den größten Teil des Vormittags begleitet hatte. „Sie müssen Ihrem Körper ebenso Nahrung geben wie Ihrer Seele. Und sosehr ich es auch genieße, Sie so glücklich beschäftigt zu sehen, ist es höchste Zeit für uns, Charles von
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