Zwischen Pflicht und Sehnsucht
langsamer werdenden Kutsche waren nichts im Vergleich zu dem Lärm, den ihr eigenes pochendes Herz machte. Sophie rutschte auf ihrem Sitz hin und her und wartete ungeduldig, bis der Diener den Wagenschlag öffnete. Zusammen mit Emily war sie frühzeitig zu den Argyll Rooms aufgebrochen, wo Miss Ashfords Wohltätigkeitsball stattfinden würde.
„Ich weiß nicht so recht, ob das gut ist“, setzte Emily an.
„Was denn?“, fragte Sophie. Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg sie voller Vorfreude aus. Durch die Fenster fiel strahlendes Licht, aber die festliche Beleuchtung konnte sich nicht mit der freudigen Erregung messen, die Sophie innerlich erglühen ließ. Es war so weit. Heute Abend würde Charles sich erklären.
Emily folgte ihr in das leere Foyer. „Vielleicht sollten wir dein Kostüm noch einmal abändern. Ich fürchte, es könnte negative Auswirkungen geben. Für dich, Sophie.“
Sie hob fragend eine Augenbraue. „Was ist denn dagegen zu sagen? Fast jeder Quadratzentimeter meiner Haut ist bedeckt. In diesem Kostüm sieht man viel weniger von mir als in jedem gewöhnlichen Ballkleid.“
„Ich weiß!“, rief Emily. „Deswegen dachte ich, es wäre nichts weiter als ein Spaß – aber der Gesamteindruck, den das ganze hervorruft –, das konnte ich nicht ahnen.“
„Unsinn.“ Sophie zupfte an den Bändern ihres Umhangs. „Komm, suchen wir Miss Ashford. Sie selbst hat die Idee gebilligt, und du glaubst doch nicht, dass sie heute Abend irgendetwas auch nur entfernt Skandalöses tolerieren würde?“
„Ich glaube nicht, dass du dich in dieser Sache auf Miss Ashfords Urteilsvermögen verlassen solltest.“
„Emily, ich verstehe nicht, was in dich gefahren ist. Auf der ganzen Welt findest du niemanden, der so in Etikette bewandert ist wie Miss Ashford.“
„Ja, aber da ist etwas in ihren Augen, manchmal, wenn sie dich ansieht.“
„Schsch. Hier kommt sie.“ Sophie winkte Miss Ashford, die in die fließenden Gewänder der Göttin Diana gekleidet mit einer Horde Bediensteter im Schlepptau die Eingangshalle betrat.
„Mrs. Lowder, Sophie, meine Liebe!“, rief sie aus, als sie sie erblickte. „Sie sind endlich hier. Nimm ihnen die Mäntel ab“, wies sie einen der Diener an. „Ich bin so froh, ich wollte Ihnen unbedingt zeigen …“ Sie verstummte, als Sophie den Umhang abstreifte.
Sie trug seidene tiefblaue Pluderhosen, dazu ein eng sitzendes Mieder im selben Farbton mit langen weißen Ärmeln, darüber eine zartblaue, reich in Silber und Weiß bestickte Tunika, die ihr bis zu den Knien reichte. Ihr Haar fiel offen in dunklen Wellen, nur geschmückt von einem einfachen geflochtenen Band mit einem einzelnen Juwel – einem glitzernden tränenförmigen Saphir –, das auf ihrer Stirn prangte. Ihre Füße steckten in samtenen Pantoffeln im selben Dunkelblau. Eine Halskette aus goldenen Münzen und Reifen an Hand- und Fußgelenken vervollständigten das Ensemble.
„Sehe ich nicht aus, als könnte ich Scheherazades Schwester sein?“
„In der Tat“, sagte Miss Ashford, „und Sie sehen wirklich sehr … ähm … authentisch aus.“
„Als kämst du direkt aus einem Harem!“, meinte Emily. „Noch als wir die einzelnen Teile zusammengestellt haben, hatte ich nichts einzuwenden, und an mir oder Miss Ashford wäre das Kostüm wahrscheinlich kein Problem. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber irgendwie sieht dieser Aufzug an dir sehr …“, sie senkte die Stimme zu einem Flüstern, „… sinnlich aus.“
Sophie lachte. „Na dann ist ja alles gut. Das gibt sicher viele Spenden.“
Statt die Gäste wie üblich nur zu bitten, ihre Spenden beim Eintreten in einen großen Behälter am Eingang zu legen, hatte Miss Ashford einen reizenden Plan gefasst, um sie zu mehr Großzügigkeit anzuregen. Die Herren waren aufgerufen, für jeden Tanz mit den jungen Damen ihres Komitees zusätzlich zu spenden.
Sophies Bemerkung schien Miss Ashford zu besänftigen. „Ja, wir müssen schließlich unser Ziel im Auge behalten. Aber kommen Sie, ich zeige Ihnen den Saal.“ Sie betraten den Raum, und Sophie blieb wie angewurzelt stehen. „Oh, wie entzückend!“ Schwere Stoffbahnen waren über die Galerien drapiert. Hunderte Kerzen in den Kronleuchtern und ein Meer aus frischen Blumen verwandelten den Raum in einen funkelnden Traum.
„Es ist hübsch geworden, nicht wahr?“, fragte Miss Ashford mit einem zufriedenen Lächeln.
„Ganz allerliebst“, rief Emily aus.
„Miss Ashford“, sagte Sophie,
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