Zwischen Pflicht und Sehnsucht
während sie versuchte, das alles zu erfassen, „Sie haben mir verschwiegen, dass Sie ein solches Dekorationstalent sind.“
„In der Tat“, stimmte Emily zu. „Es ist nicht weniger als eindrucksvoll.“ Sie wandte sich an Sophie. „Du musst mir versprechen, dich heute Abend so anständig wie möglich zu benehmen, meine Liebe. Wir wollen den Lästermäulern keine weitere Munition liefern.“
„Ich verspreche es dir“, willigte Sophie ein.
Der Ballsaal füllte sich, und das Fest begann. Milchmädchen hakten sich bei Königen unter, Piraten führten Burgfräulein spazieren. Die Silberschalen für die Spenden wurden zusehends voller, und die Damen des Komitees sah man ständig auf der Tanzfläche. Nur Sophie nicht. Niemand forderte sie auf. Die Leute gafften, flüsterten, und viele liefen mehr als einmal an ihr vorbei, aber keiner sprach sie an.
„Was ist los, Lady Dayle?“, fragte Emily schließlich die Viscountess, die als Einzige bei ihnen stand. „Warum tanzt keiner mit Sophie?“
„Es gibt Gerede wegen ihrer Hosen, doch nicht mal die vornehmsten Damen können leugnen, dass sie mehr als geziemend bedeckt ist“, antwortete diese besorgt. „Allerdings gibt es noch ein Problem. Jemand verbreitet Gerüchte, beschuldigt Sophie, schwierig und launisch zu sein und die anderen jungen Damen ausstechen zu wollen.“
„Ich habe befürchtet, dass etwas Derartiges geschehen würde“, stöhnte Emily. „Was sollen wir tun?“
Am Ende mussten sie gar nichts tun. Ausgerechnet Theo Alden, Charles’ Cousin, der für seine Eitelkeit und seine scharfe Zunge bekannt war, rettete die Lage.
Wenn auch nicht mit Absicht. Er trat voller Niedertracht zu Sophie, bereit, ihr Kostüm Stück für Stück mit Worten auseinanderzunehmen. Doch sie kam ihm zuvor.
„Die Farbe steht Ihnen hervorragend.“ Sie deutete auf seine Weste. „Und der grüne Frackrock passt genau zu Ihren Augen. Eine der bevorzugten Farben des Prinzregenten in dieser Saison, wie ich höre.“ Sie lächelte.
„Tatsächlich? Darüber müssen Sie mir mehr erzählen.“ Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, führte Theo sie auf die Tanzfläche, um sie in aller Ausführlichkeit nach dem Geschmack des Prinzregenten auszufragen.
Danach gab es keine Probleme mehr. Theos Begleiter forderten sie einer nach dem anderen auf, und bald gab es eine Schlange von Anwärtern auf einen Tanz mit ihr. Sophie tanzte, bis sie glaubte, die Füße müssten ihr abfallen. Die Schale für die Spenden neben ihrem Sitzplatz füllte sich und musste ausgetauscht werden. Und die ganze Zeit hielt sie, während sie über die Tanzfläche wirbelte und höflich Konversation trieb, mit einem Auge Ausschau nach Charles.
Charles fluchte, während sein Kammerdiener sich abmühte, ihm in die hohen Stiefel, die zum Kostüm gehörten, zu helfen. Er würde sich wieder einmal verspäten. Ehrlich gesagt war das aber nicht zu ändern gewesen. Den ganzen Tag war er mit dem Komitee für landwirtschaftliche Notstände in Klausur gewesen, und sie hatten beträchtliche Fortschritte erzielt. „Tut mir leid, ich muss mein Kostüm für den Maskenball zusammenstellen“ war keine Ausrede, die es rechtfertigte, das Schicksal der verzweifelten englischen Bauern hintanzustellen.
Crocker, sein Kammerdiener, hatte auch ohne ihn Wunder gewirkt. Jetzt stand Charles da und ließ ihn das wallende schwarze Cape über seine Schultern drapieren. Er war das Musterbild eines Wegelagerers aus dem 18. Jahrhundert, mit Rüschenkragen, Stulpenärmeln und allem, was dazugehörte. Erst hatte er sich gesträubt, das altmodische Hemd anzuziehen, aber Crocker hatte darauf bestanden.
Er warf sein Cape zurück, gürtete sich den leichten Degen um und brach auf. Es war eine passende Verkleidung, denn heute Nacht plante er, sich sowohl dem Schicksal als auch seinem Feind entgegenzustellen und seine Zukunft zurückzugewinnen.
Seine Zukunft mit Sophie. Allein der Gedanke füllte ihn mit einer erschreckend intensiven Sehnsucht. Sein Vorhaben würde funktionieren. Es musste. Sophie konnte es schaffen – sie konnte zu der beständigen, respektablen Dame werden, die er brauchte. Die ganze Zeit hatte er sich gesorgt, dass sie eine Bedrohung für seine Pläne sein könnte. Es war der Gipfel der Ironie, dass sie nun diejenige sein würde, die ihn rettete.
Bei den Argyll Rooms angekommen, bahnte sich Charles den Weg durch die Vielzahl der Nachtschwärmer, die auf Einlass warteten. Im Eingangsbereich blieb er stehen und bestaunte die Menge.
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