Zwischen Rom und Mekka
muslimischen Staaten wichtig, bei einem Rom-Besuch nicht nur von ihren italienischen Kollegen empfangen zu werden, sondern auch im Vatikan ihre Aufwartung machen zu dürfen. Ein Foto mit dem Papst hatte menschlichen Reiz und politischen Wert. Pius XII. nahm diese Gelegenheiten der internationalen Beziehungen wahr. Für mehr war die Zeit wohl noch nicht reif.
Pius XII. sprach mitten im Zweiten Weltkrieg, zu Pfingsten 1943, ein Wort, das wie viele seiner Worte kaum gehört und noch weniger erhört wurde, das jedoch ein Vermächtnis der Weisheit für alle Religionen ist: »Nicht im Umsturz, sondern in der Entwicklung in Eintracht liegen Heil und Gerechtigkeit. Gewalt hat immer nur niedergerissen, nie aufgebaut, die Leidenschaften entfacht, nie beruhigt. Sie hat Menschen und Klassen immer nur in die harte Notwendigkeit gestürzt, nach leidvollen Prüfungen auf den Ruinen der Zwietracht zum mühevollen Wiederaufbau zu schreiten.«
Kapitel 10
Johannes XXIII.
Als Pius XII. starb, am 9. Oktober 1958 in der päpstlichen Landresidenz von Castel Gandolfo, war die Teilnahme arabischer und anderer muslimischer Delegationen an den Trauerfeierlichkeiten auf dem Petersplatz in Rom nun selbstverständlich - entsprechend den diplomatischen Beziehungen. Darüber schrieb zwei Wochen später Hassan Suliak in der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit« (vom 24. 10. 1958) etwas pathetisch: »Während die ganze Welt in diesen Tagen mit Spannung der Wahl des neuen Papstes entgegensieht, erinnern sich die islamischen Länder an eine Entwicklung, die unter der weisen Führung Pius’ XII. begann und auf deren Fortsetzung sie auch unter dem neuen Papst hoffen.«
Es sollte danach noch besser kommen. War Pius XII. der Welt als fast übermenschlich-vergeistigter Repräsentant des Katholischen erschienen, der aus Klugheit seine Fühler auch in die islamische Welt ausgestreckt hatte, so schien der neue Papst, Johannes XXIII., plötzlich der freundliche Vertreter der Menschen schlechthin zu sein, der über die Grenzen seines Glaubens und der Religionen hinaus in seiner Güte alles Menschliche umfing. Er wurde der »Papa Buono«, der »gute Papst«, genannt, auch von Muslimen.
Angelo Giuseppe Roncalli, 1881 bei Bergamo in der Lombardei geboren, seit Januar 1953 Patriarch von Venedig, wurde im Konklave am 28. Oktober 1958 von den 51 Kardinälen erst im elften Wahlgang als, wie es sofort allgemein hieß, »Übergangspapst« gewählt; der knapp 78 Jahre alte Norditaliener sollte den Thron Petri lediglich für eine kurze Zeit ausfüllen.
Spötter meinten zuerst, wenigstens dafür sei er wegen seiner Leibesfülle geeignet; dann verstummten sie. Für nicht wenige Katholiken war der lächelnde Alte mit dem damals noch merkwürdig klingenden Namen Johannes, Nr. 23, nach dem ätherischen Pius zunächst eine Enttäuschung. Das sollte sich bald ändern. In den Beziehungen zwischen den Päpsten und dem Islam wurde mit der Krönung Johannes’ XXIII. am 4. November 1958 eine neue, überraschende Seite aufgeschlagen.
Was für ein Übergangspapst!
Alles andere als ein Übergangspapst! Johannes XXIII. leitete in der katholischen Kirche mit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils eine gründliche Reform ein, die in vielem einer Revolution gleichkam. Er öffnete die römische Papstkirche, die wie ein Felsen, wie eine Festung mit vorgeschobenen Bastionen in der Welt lag, »den anderen«, der modernen Gesellschaft, den nicht katholischen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, den Juden, den anderen Weltreligionen, den Nichtglaubenden. Er gewann allein durch sein bescheidenes Auftreten, die schlichten Worte, seine liebenswürdigen Gesten, das wirkliche Mitfühlen mit den einfachen Leuten der katholischen Kirche das Menschliche zurück. Das beeindruckte auch in der islamischen Welt. Keine Kritik regte sich, als dieser Gütige und Gerechte, wie er in die Erinnerung der Italiener und der ganzen Welt eingegangen ist, am 3. September 2000 von Johannes Paul II. seliggesprochen und zu beispielhafter Verehrung in der Kirche erhoben wurde.
Johannes XXIII. führte die Kirche nicht einmal fünf Jahre, vom 4. November 1958 bis zu seinem Tod am 3. Juni 1963, aber er führte sie in eine neue Epoche. Er lehrte mit päpstlicher Autorität, dass Kirche und Religion nicht um ihrer selbst willen bestehen, nicht für ihre Glaubenssätze und Gebote, sondern für die Menschen da sind, den Einzelnen, die Gemeinschaft. So wie es Jesus von Nazareth schlicht den
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