Zwischen uns das Meer (German Edition)
lächelte zum ersten Mal seit Tagen. »Schön, Sie zu sehen. Kommen Sie doch herein.« Sie ging voran ins Familienzimmer und setzte sich auf die Couch.
»Ich wollte mal sehen, wie’s Ihnen so geht«, erklärte er und nahm neben ihr Platz. »Michael erzählte, Sie seien jetzt zu Hause.«
»Mir geht’s mit jedem Tag besser«, antwortete sie.
»Schön.«
Sie wappnete sich innerlich. »Haben Sie mit Smittys Eltern gesprochen?«
Er nickte. »Bei der Beerdigung.«
»Haben sie mir die Schuld gegeben?«
»Natürlich nicht, Jolene. Sie wissen, dass ihr Sohn ein Held war, der für sein Land starb. Sie sind stolz auf ihn.«
»Ich hab versucht, noch zu ihm zu kommen.«
Dann schwiegen sie, weil beide wussten, dass es dazu nichts zu sagen gab.
»Jolene«, setzte der Captain schließlich mit gequälter Miene an. »Ich hab Neuigkeiten für Sie.«
»Und welche?«
»Ich habe Ihre Krankenakte von Captain Sands in Landstuhl bekommen. Mit dem Gutachten zu Ihrer Diensttauglichkeit.«
»Ach«, sagte sie leise. Bei all dem, was in den letzten Wochen passiert war, hatte sie ihren Beruf vollkommen aus den Augen verloren. Und das Fliegen.
Wie hatte sie das nur vergessen können? »Und?«
»Sie sind Pilotin«, sagte er voller Mitgefühl. Was hieß, dass manche Soldaten vielleicht auch nur mit einem Bein Dienst tun konnten. Aber ein Pilot nicht.
Er wollte ihr sagen, dass sie nie wieder fliegen würde. Sie schloss kurz die Augen, weil sie ein Schmerz durchfuhr, der so heftig war wie ihr Phantomschmerz. »Ich entspreche nicht den Kriterien für die Aufhebung der Dienstuntauglichkeit«, seufzte sie. »Natürlich nicht, schließlich habe ich nur ein Bein.«
»Sie könnten dagegen klagen. Widerspruch einlegen und sehen, ob Sie nach der Reha den Kriterien entsprechen.«
Sie sah ihn direkt an. »Aber sie werden mich nie wieder fliegen lassen, oder?«
Die Antwort las sie in seinen Augen. »Nein. Die Flugerlaubnis für einen Black Hawk bekämen Sie nicht. Aber Sie könnten vielleicht bei der Nationalgarde bleiben. Oder wenn Sie entlassen würden, bekämen Sie alle Vergünstigungen.«
»Vergünstigungen«, murmelte sie und versuchte sich ein Leben ohne Armee, ohne ihre Freunde, ohne das Fliegen vorzustellen. Aber sie war doch Pilotin. Pilotin . Wie sollte sie in der Nationalgarde dienen, ohne zu fliegen?
Was war noch von ihr geblieben?
»Tut mir leid, Jo.«
Sie nickte und wandte den Blick ab, bevor er ihre Verzweiflung sehen konnte. »Danke, Sir«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
Als er gegangen war, nahm sie die Flasche Wein und zog sich in ihr Zimmer zurück.
Die Fähre legte gerade auf der Insel an, als Michaels Handy klingelte. »Hallo?«
»Mr Zarkades? Hier spricht Direktorin Warner von der Middle School. Ich fürchte, es hat einen Zwischenfall mit Betsy gegeben.«
Die Fähre schob sich ans Dock, die Motoren gingen aus. Er startete seinen Wagen. »Was? Einen Zwischenfall? Was soll das heißen?«
»Betsy war an einer Schlägerei beteiligt.«
»Einer Schlägerei ? Betsy?«
»Ja.«
»Ich bin gleich bei Ihnen«, sagte er und beendete das Gespräch. Er folgte der Schlange der anderen Wagen von der Fähre, über die Rampe und auf die Straße. Auf dem Highway drückte er aufs Gas.
Zwanzig Minuten später war er an der Schule angekommen und parkte. Im Innern der Schule waren die weißen Wände mit unzähligen Postern aus dem Naturwissenschafts- und Geschichtsunterricht geschmückt. Als er das Büro der Direktorin erreichte, wartete Betsy bereits im Vorzimmer. Sie hatte die Arme verschränkt und die Lippen zusammengepresst. Bei seinem Eintreten hob sie den Kopf und riss dann die Augen auf.
»Dad, ich …«
Er hob nur abwehrend die Hand und ging weiter zum Empfang, wo er seinen Namen nannte und sofort ins Büro der Direktorin geführt wurde.
Diese war eine hübsche, zierliche Frau mit freundlichem Blick. Als sie sein blaues Auge bemerkte, runzelte sie die Stirn.
»Ich bin vom Rad gefallen«, erklärte er knapp.
Sie lächelte kurz. »Tut mir leid, dass wir Sie rufen mussten. Uns ist bewusst, welche Probleme Ihre Familie gerade durchmacht. Bitte setzen Sie sich doch.«
Er gehorchte. »Betsy hat sich geprügelt? Mit wem?«
»Sierra Phillips und Zoe Wimerann. Mir wurde berichtet, die beiden hätten sich über ihre Mutter lustig gemacht. Offenbar hat Sierras Dad ein paar Bemerkungen über die Unfähigkeit von Frauen, Helikopter zu fliegen, von sich gegeben, und Zoe hat darüber gelacht. Da hat Betsy
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