Zwischen uns das Meer (German Edition)
Jolene.« Sie streckte ihm über den Tisch die Hand entgegen. Er zögerte, dann ergriff er mit seiner gefesselten Hand ihre.
»Ramadi«, erklärte er. »Die meiste Zeit.«
Mehr musste er nicht sagen. Sie wusste, wie es für ihn gewesen war; wie er seinem Land gedient hatte. Er war Tag für Tag durch verminte Straßen patrouilliert und hatte mit angesehen, wie Menschen – und Freunde – in die Luft gejagt wurden. Er hatte Leichenteile eingesammelt. Wie viele Heldenmissionen hatte sie wegen seiner Kameraden geflogen?
»Kann ich irgendetwas für Sie tun?«, fragte sie sanft und beugte sich vor.
»Helfen Sie sich selbst, Chief. Das wollte ich Ihnen sagen. Wir beide wissen, was in unserem Kopf vorgeht, wie schwer uns manchmal das Denken fällt, wie schlimm die Nächte sein können. Ich hätte Emily davon erzählen und mir von ihr helfen lassen sollen. Stattdessen tat ich so, als wäre alles in Ordnung. Ich kam damit klar. Ich war ein Marine. Und jetzt bin ich hier … und sie ist fort.« Er beugte sich vor. »Sie haben doch Kinder, oder?«
Sie nickte und lehnte sich zurück.
»Sie müssen den Teil von sich aufgeben, der drüben gebraucht wurde. Kommen Sie nach Hause zurück, zu den Menschen, die Sie lieben. Ich wünschte bei Gott, ich hätte eine Möglichkeit gefunden, das zu tun.« Er beugte sich noch weiter vor und senkte die Stimme. »Reden Sie mit Michael. Er ist ein guter Mann. Er will uns verstehen.«
Es gab so viel, was sie diesem jungen Kriegsveteran hätte sagen können, aber mit seinen wenigen traurigen Worten hatte er selbst schon alles gesagt. Er verstand sie: ihren Schmerz, ihre Angst, ihr Widerstreben, Schwäche zu zeigen. Er war auch dort gewesen, und genau deswegen saß er hier.
Mit einem Soldatenherzen.
Kein Wunder, dass man posttraumatische Belastungsstörungen früher so genannt hatte. Es entsprach der Wahrheit. Es kann sein, dass wir gebrochen heimkehren, dachte sie. Ganz gleich, wie stark wir sind … Die Armee hätte sie darauf vorbereiten sollen. Es gab so viel Training vor dem Aufbruch in den Krieg, aber gar nichts nach der Rückkehr.
Keith erhob sich. Er blickte zu ihr herunter und beugte seinen Arm zum Salut. Entsetzt spürte sie, wie ihr die Tränen kamen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Soldat mehr.«
Da schenkte Keith ihr ein herzzerreißendes Lächeln. »Wir werden immer Soldaten sein, Jolene.«
Als sie heimkamen, war das Haus leer. Mila war mit den Mädchen auswärts essen gegangen und würde, laut einem Zettel, gegen acht zurück sein.
Jolene humpelte in ihr Zimmer und ließ sich auf ihrer Bettkante nieder. Obwohl sie ziemlich heftige Schmerzen hatte, fühlte sie sich aufgekratzt und nervös. Michaels Eröffnungsplädoyer war verführerisch und ergreifend gewesen, und sie hatte eine Heidenangst davor zu glauben, dass er sich verändert haben konnte – und wenn es nur ein bisschen war. Auf der langen Rückfahrt vom Gericht hatten sie nur Small Talk betrieben. Sie hörte ihm zu und antwortete auf seine Fragen, aber beide lauschten auf das Echo des Unausgesprochenen, das dahinterlag.
Jetzt klopfte Michael an ihre Tür und trat ein.
Sie blickte zu ihm auf. »Irgendwas stimmt nicht mit mir«, sagte sie leise. Ihr Puls fing an zu rasen. »Ich habe Angst.« Mehr konnte sie nicht preisgeben, so aufrichtig war sie ihm gegenüber noch nie gewesen. »Was ist, wenn ich wie Keith bin?«
»Nein, das bist du nicht.«
»Woher willst du das wissen?«
Er kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Dann nahm er ihre Hand und zog sie zu sich hoch. Er sah sie unverwandt an, und in seinen dunklen Augen spiegelte sich für sie schemenhaft ihr ganzes gemeinsames Leben, die guten und die schlechten Seiten. Langsam, ganz langsam beugte er sich zu ihr und sagte: »Ich werde dich jetzt küssen, Jolene …«
Sie wusste, dass er ihr damit die Möglichkeit geben wollte, ihn aufzuhalten, und ein Teil in ihr hätte ihn am liebsten weggestoßen und die Flucht ergriffen, um das zu schützen, was von ihrem Herzen noch geblieben war. Aber sie konnte es nicht.
Sein Kuss war genau so, wie sie ihn in Erinnerung hatte, genau so, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Ihr Körper reagierte darauf wie immer bedingungslos und voller Hingabe.
Als er sich von ihr löste, sah sie, dass ihr Kuss ihn genauso erschüttert hatte wie sie. Er atmete stockend.
»Sag, dass es noch nicht zu spät für uns ist«, forderte er. Sie hörte, zum ersten Mal, einen verzweifelt bittenden Unterton in seiner Stimme.
»Es
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