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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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wandte sich an die Geschworenen. Im Gegensatz zum Staatsanwalt sprach Michael ganz entspannt, fast freundlich zu ihnen. »Keith Keller ist kein Monster. Das wäre zu einfach. Ein Monster könnten wir wegsperren und uns dabei noch gut fühlen. Keith ist etwas viel Bedrohlicheres. Keith ist einer von uns. Er ist wie Ihr Bruder, Ihr Sohn, Ihr Nachbar.« Er sah jeden Geschworenen einzeln an. »Auf der High School war er ein beliebter Schüler, ein toller Footballspieler. Nach einem Jahr College heiratete er Emily Plotner, die Liebe seines Lebens, und fand einen Vollzeitjob in einer Futtermittelhandlung. Seine Vorgesetzten und Mitarbeiter werden Ihnen erzählen, was für ein netter Kerl er ist. Keith dachte, sein Leben würde sich bestens entwickeln. Er und Emily sprachen sogar schon von Kindern.
    Dann kam der elfte September. Ich bin sicher, jeder von Ihnen weiß noch, wo er war und was er machte, als er von den Anschlägen hörte. Keith war auf der Arbeit. Er erfuhr fast sofort, dass einer seiner Freunde an Bord der Maschine Neunzig-Drei gewesen war.«
    Jolene ertappte sich dabei, dass sie sich vorbeugte.
    »Die meisten von uns wollten irgendetwas tun. Keith aber tat wirklich etwas. Er ging zu den Marines und bekämpfte im Irak die Terroristen. Dabei musste er einige der schlimmsten Schlachten dieses Krieges miterleben. Jeden Tag sah er, wie Freunde getötet oder verstümmelt wurden; jeden Tag fragte er sich, ob der nächste Schritt sein letzter sein würde. Er sah, wie Kinder und Frauen ihn anlächelten und kurz darauf in die Luft gejagt wurden. Er sammelte die sterblichen Überreste seines besten Freundes ein, nachdem dieser von einer Bombe in Stücke gerissen worden war.
    Keith ist Soldat. Früher wusste ich nicht, was das bedeutet, obwohl ich es hätte wissen müssen, denn meine Frau ist auch Soldatin. Ich schickte sie in den Krieg, ohne eine Ahnung zu haben, was das bedeutet.« Michael drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Ich bin stolz auf sie, weil sie unserem Land gedient hat.«
    Jolene stockte der Atem. Er sprach zu ihr . Deshalb hatte er gewollt, dass sie heute dabei war. Damit sie ihm zuhörte.
    »Helden«, fügte Michael sanft hinzu. Und plötzlich schien die Welt sich zurückzuziehen, bis nur noch sie beide da waren und sich quer über den vollen Gerichtssaal hinweg anblickten. »Unsere Soldaten sind Helden, die Männer und Frauen, die sich in Gefahr begeben, um uns und unseren Lebensstil zu schützen. Ganz gleich, was Sie über den Krieg denken, Sie müssen unseren Soldaten, von denen wir so viel verlangen und denen wir manchmal so wenig zurückgeben, dankbar sein.«
    Langsam drehte er sich wieder zu den Geschworenen.
    Wie lange hatte er nur zu ihr gesprochen? Ein paar Sekunden? Einen Augenblick? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Wie lange hatte sie auf diese Wort von ihm gewartet: Ich bin stolz auf dich . Tränen stiegen ihr in die Augen; ungeduldig wischte sie sie weg.
    »Ein Soldat wird darauf gedrillt, stark und mutig zu sein«, sagte Michael mit einer Stimme, in der nur sie das mitschwingende Gefühl hörte. »Und niemanden zu brauchen. Aber Keith Keller brauchte Hilfe. Er kam irreparabel geschädigt aus dem Krieg zurück und litt unter Alpträumen.« Wieder sah Michael sie an, und in seinem Blick lag ein Verständnis, das sie nie zuvor gesehen hatte, ein Mitgefühl, das nichts mit Mitleid zu tun hatte. »Er wollte sich von niemandem helfen lassen, obwohl seine Frau es versuchte. Aber wie soll man jemandem helfen, der unvorstellbare Gräuel erlebt hat? Diese und andere Fragen müssen wir uns als Nation stellen. Keith Keller mag zwar hier direkt vor Ihnen sitzen, aber in Wahrheit ist er nie aus dem Irak zurückgekehrt …«
    In der nächsten Stunde beleuchtete Michael die Fakten vom Standpunkt der Verteidigung, ging ausführlich auf posttraumatische Belastungsstörungen ein und beschrieb, wie Keith jede Hilfe versagt blieb und seine Wut und Angst immer mehr eskalierten. »Keiths Familie und seine Freunde werden bezeugen, dass er als anderer, seelisch gebrochener Mensch zurückgekommen ist. Er versuchte Hilfe vom Department of Veterans Affairs zu bekommen, aber vergeblich, wie so viele andere Rückkehrer auch. Er litt unvorstellbar unter Schlaflosigkeit, Alpträumen und Flashbacks. Er trank zu viel, um diese Symptome zu mildern, doch leider wurde sein Zustand durch den Alkohol noch schlimmer. All dies sind Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung, einer anerkannten psychischen Krankheit. Es

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