Zwischen uns das Meer (German Edition)
kannten keine harte Arbeit. Es waren die Hände eines Menschen, der nicht wie sie körperlich arbeitete. Vielleicht lief alles darauf hinaus. Vielleicht hätte sie diese Szene schon voraussehen können, als sie zum ersten Mal seine Hand hielt.
»Du gehst also«, sagte er, und seine Stimme hatte einen Unterton aufgestauter Wut, den sie noch nie gehört hatte.
»Ich muss«, erwiderte sie.
»Interessiert es dich überhaupt, dass wir dich hier brauchen?«
»Natürlich interessiert es mich.«
Er leerte sein Glas und durchquerte das Zimmer. Er stellte das Glas auf den Nachttisch und setzte sich neben sie aufs Bett, aber nicht so nah, dass sie sich berühren konnten. Seufzend ließ er sich nach vorn sacken. Sein welliges Haar fiel ihm über das scharfe Profil. Als sie ihn so sah, musste sie an die Woche denken, in der sein Vater im Sterben gelegen hatte. Michael war es unmöglich gewesen, Theo so zu sehen, grau, schmal, schmerzverzerrt und nur noch von Maschinen am Leben erhalten. Er hatte versucht, sich zu ihm ans Bett zu setzen, es aber nie lange ausgehalten. Die meiste Zeit war er auf den Gängen hin und her getigert. Er hatte sich Vorwürfe wegen seiner Schwäche gemacht. Dann war sie zu ihm gegangen, hatte ihn in den Arm genommen und ihn so lange gehalten, bis er wieder normal atmen konnte. Für sie war es selbstverständlich, sich um ihn zu kümmern, wenn er litt. Aber jetzt erkannte sie, wovor sie immer die Augen verschlossen hatte: Ihre Liebe war einseitig. Sie war diejenige, die gab; er war derjenige, der nahm.
»Ist gut«, sagte er schließlich.
Erleichterung überkam Jolene. Erst als sie jetzt geräuschvoll ausatmete, wurde ihr klar, wie nervös sie gewesen war, während sie neben ihm gesessen und gewartet hatte. »Also wirst du auf mich warten?«, fragte sie.
»Wann musst du los?«
»In zwei Wochen. Das ist früher als üblich. Wegen besonderer Umstände.«
»Und du wirst ein Jahr weg sein.«
Sie nickte. »In sechs Monaten bekomme ich Urlaub. Dann kann ich für zwei Wochen nach Hause.«
Er seufzte noch einmal. »Wir sagen es morgen den Mädchen. Und meiner Mutter.«
»Ja«, antwortete Jolene, brachte aber nur noch ein Flüstern heraus. Zwar war noch so viel zu sagen, so viel zu planen, so viel zu klären, aber keiner von ihnen sagte mehr etwas.
Sie beide saßen nur da, auf dem Bett, in dem sie sich so oft geliebt hatten, und starrten ins Leere, bis es Zeit war, das Licht zu löschen.
S IEBEN
Am nächsten Morgen fuhren Michael und Jolene zu Mila.
Michael parkte in der Einfahrt und stellte den Motor aus. Zum ersten Mal an diesem Morgen blickte er sie an. »Bist du bereit?«
Jolene sah den Groll in seinen Augen und fühlte sich schrecklich allein. Anstatt zu antworten, fasste sie nach dem Türgriff, öffnete die Tür und stieg aus. Als sie zum Haus gingen, fiel ihr auf, wie sehr er auf körperliche Distanz bedacht war.
Michael klopfte. Sofort darauf hörten sie Schritte. Dann schwang die Tür auf, und Mila stand da mit wüster Mähne und flauschigem rosafarbenem Bademantel. Der Raum hinter ihr hatte hellgrüne Wände, breite Kiefernholzdielen, Fenster mit Blick auf den Strand und Rattanmöbel aus den Fünfzigern. Die Kissen waren in gedämpftem Beige, Rosé und Weiß gehalten. »Ach, ihr seid aber früh dran«, sagte sie und trat beiseite, um sie dann in das Wohnzimmer zu führen, wo überall Spielzeug, Bücher und DVD s herumlagen.
Lulu sprang von ihrem Platz auf dem cremefarbenen Filzteppich auf. Sie trug wieder den Haarreif mit den Katzenohren.
»Da will jemand unbedingt unsichtbar sein«, bemerkte Mila leise lächelnd.
Jolene runzelte übertrieben verwundert die Stirn und sah sich demonstrativ um. »Hmmmm … hast du Lulu gesehen, Mila? Ich frag mich, was aus meiner Mieze geworden ist. Hat irgendjemand meine Lucy Louida gesehen?«
Lulu kicherte.
Michael runzelte die Stirn. »Was soll das? Sie steht doch direkt …«
Lulu riss sich den Haarreif herunter und grinste. »Hier bin ich, Mommy!«
Jolene stürzte zu ihr und nahm sie in die Arme. »Ja, da bist du!« Sie barg ihr Gesicht in Lulus samtiger Halsbeuge, roch den Duft ihres kleinen Mädchens und versuchte, ihn sich einzuprägen.
»Mommy«, quiekte Lulu und trat leicht nach ihr. »Du verdrückst mich ja.«
Jolene lockerte ihren Griff, damit Lulu freikommen konnte.
»Habt ihr Hunger?«, fragte Mila, hob eine leere DVD -Hülle auf und sah sich stirnrunzelnd nach der DVD um.
»Eigentlich haben wir dir und den Mädchen was zu sagen«,
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