Zwischen uns das Meer (German Edition)
Irak.«
»Du bist in der Nationalgarde, verdammt noch mal! Du bist keine echte Soldatin.«
Jolene zuckte zusammen. »Ich werde lieber vergessen, dass du das gesagt hast.«
»Du wirst nicht in den Krieg ziehen, Jolene. Komm schon. Du bist einundvierzig Jahre alt …«
»Ach, das fällt dir jetzt ein.«
»Da drüben sterben Menschen .«
»Das ist mir bewusst, Michael.«
»Sag ihnen, du hättest Kinder. Sie können doch nicht von dir erwarten, deine Kinder allein zu lassen.«
»Männer verlassen ihre Kinder ständig, um in den Krieg zu ziehen.«
»Das weiß ich«, zischte er. »Aber du bist Mutter.«
»Ich war zuerst Soldatin.«
»Das ist kein gottverdammtes Spiel, Jolene. Du wirst nicht in den Krieg ziehen. Sag ihnen danke, aber nein danke. «
Sie starrte ihn ungläubig an. »Dafür könnte ich vors Kriegsgericht kommen. Ich könnte ins Gefängnis kommen. Man sagt nicht einfach so nein.«
»Dann kündige.«
Wenn er das ernsthaft vorschlagen wollte, kannte er sie überhaupt nicht. Für ihn war Ehre nur ein Wort, und Anwälte spielten gerne mit Worten. Er hatte keine Ahnung, was unehrenhafte Entlassung bedeutete. »Ich habe mein Wort gegeben, Michael.«
»Und was ist mit deinem Wort mir gegenüber?«, fauchte er.
»Du Scheißkerl!«, brach es aus ihr heraus. »All die Jahre hab ich dich geliebt. Ich habe dich angebetet! Und gestern Abend erklärst du mir, du würdest mich nicht mehr lieben und über eine Scheidung nachdenken! Aber auf einmal, nur weil du ein egoistischer Mistkerl bist, der nichts von mir weiß, meinst du, ich müsste die Nationalgarde verlassen!«
»Welche Mutter verlässt ihre Kinder?«
Sie holte scharf Luft. Eine Ohrfeige von ihm hätte nicht so weh getan. »Wie kannst du es wagen , mir so was zu sagen? Ausgerechnet du, der sich ständig vor allem drückt, was mit Familie zu tun hat! Es bricht mir das Herz, sie verlassen zu müssen, aber ich tue es.« Ihr versagte die Stimme. »Ich muss.«
»Also ziehst du in den Krieg.«
»Du sagst das so, als hätte ich eine Wahl, Michael. Aber hier gibt’s keine Wahl. Entweder ziehe ich in den Krieg oder gehe ins Gefängnis. Kannst du das nicht begreifen? Ich bin eingezogen worden.«
»Und du wunderst dich, dass ich sauer bin? Ich wollte von Anfang an nicht, dass du in der dämlichen Armee bleibst.«
»Danke, dass du meine Arbeit so wertschätzt.«
»Krieg – und dieser Krieg ganz besonders – ist vollkommen sinnlos. Ich mag nicht Colin Powell sein, aber ich weiß, dass ein Helikopter ein gut sichtbares Ziel am Himmel ist, das leicht abgeschossen werden kann. Was soll ich denn sagen? Schön für dich, Jolene? Ab mit dir in den Irak, aber sei vorsichtig? Wir warten hier auf dich?«
»Ja.« Ihre Wut verrauchte. »Genau das würde ich jetzt gerne hören.«
»Tja, dann hast du den Falschen geheiratet.«
»Offensichtlich. Sieh es doch mal positiv, Michael. Du wolltest doch eine Auszeit.«
»Du kannst mich mal, Jo.«
»Nein, du kannst mich mal, Michael.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer. Obwohl sie am liebsten gerannt wäre, ging sie ruhig, mit erhobenem Kopf und gestrafften Schultern die Treppe hinauf ins Schlafzimmer.
Unten knallte eine Tür. Das erinnerte sie an die vielen Auseinandersetzungen, die sie in ihrer Kindheit mit anhören musste. Sie hätte nie gedacht, dass ihr eines Tages dasselbe passieren würde. Doch obwohl das traurige und erbärmliche Echo ihrer Kindheit weh tat, dachte sie: Ja, Michael, lauf einfach weg.
Sie hätte es doch besser wissen müssen! Man konnte sich einfach nicht darauf verlassen, dass jemand zu einem stand, dass er blieb. Doch trotz dieser Gewissheit und der Erkenntnis, dass sie wieder allein war – aber stark genug, um es durchzustehen –, spürte sie, wie sie innerlich zerbrach. Sie setzte sich aufs Bett, weil ihre Beine nachgaben.
Eine Weile danach knackte der Boden vor ihrem Schlafzimmer und die Tür ging auf. Michael stand da und wirkte gleichzeitig wütend und geschlagen. Die Haare standen ihm zu Berge, als wäre er immer wieder mit den Händen hindurchgefahren. Das machte er ständig, wenn er nervös war. Er hielt ein halb volles Glas – zweifellos mit Scotch – in der Hand. Sie ertappte sich, wie sie einen Moment auf die Hand blickte; seine Finger waren lang, fast elegant. Sie hatte oft gesagt, dass er die Hände eines Malers oder Pianisten hatte. Sie hatte geliebt, wie diese Finger ihren Körper zum Klingen brachten.
Aber diese Hände hatten keine Schwielen und
Weitere Kostenlose Bücher