Zwischen uns das Meer (German Edition)
erklärte Michael angespannt.
»Ach ja?« Mila blickte auf. »Stimmt was nicht?«
Da trat Michael tatsächlich beiseite. »Jolene hat etwas anzukündigen, Ma. Sie hat Neuigkeiten.«
Mila sah sie fragend an. »Jo?«
»Wo ist Betsy?«, flüsterte Jolene, weil sie nicht lauter sprechen konnte. Sie konnte Helikopter fliegen, Maschinengewehre abfeuern und mit vollem Rucksack zehn Meilen rennen, aber bei der Vorstellung, ihren Kindern die Lage zu erklären, wurde sie ganz schwach.
»Ich hole sie.« Lulu setzte sich in Bewegung und schrie: »Beee-tsy! Komm runter!«
Mila sah abwechselnd zu Jolene und zu Michael.
Da kam Lulu mit Betsy im Schlepptau zurück. Betsy wirkte verschlafen und rieb sich die Augen. Sie trug ein riesiges T-Shirt und weiße Söckchen. »Warum habt ihr mich geweckt?«
Jolene hob Lulu auf ihren Arm, trug sie zum Sofa und ließ sich dort nieder. »Setz dich zu uns, Betsy. Wir müssen mit euch sprechen. Es ist wichtig.«
Michael nahm neben Jolene Platz.
Betsy hielt plötzlich inne. »Lasst ihr euch scheiden?«
»Elizabeth Andrea«, mahnte Mila. »Wie kommst du nur …«
Michael seufzte. »Setz dich einfach, Betsy.«
Betsy kniete sich vor ihm hin, verschränkte die Arme und streckte trotzig das Kinn vor. »Also, was?«
Alle sahen zu Jolene. Fast hätte sie die Nerven verloren; sie blickte zu Michael, aber der zuckte nur mit den Schultern.
Sie war auf sich allein gestellt. Keine große Überraschung. Seufzend sah Jolene erst Betsy an und dann Lulu. »Erinnert ihr euch noch an die Geschichte, die ich euch über meinen Eintritt in die Armee erzählt habe?«, begann sie. »Ich war achtzehn und hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Meine Eltern waren gerade gestorben. Ich war vollkommen allein. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie allein ich war. Ich hab natürlich davon geträumt, euch Kinder mal zu haben, aber das lag in der Zukunft.«
Betsy seufzte ungeduldig. »Mann, kann ich mich wieder hinlegen?«
»Ich weiß, ich kann das nicht so gut«, sagte Jolene.
»Sag’s einfach«, forderte Michael sie auf.
Lulu fing an, auf Jolenes Schoß zu hüpfen. »Was denn?«
Jolene holte tief Luft. »Ich gehe in den Irak, um …«
» Was?« , unterbrach Betsy sie und stand mühsam auf.
»Wie?«, fragte Lulu.
»Oh, Jolene«, flüsterte Mila und legte eine Hand vor den Mund. Sie ließ sich in den Rattansessel am Fenster sinken.
»Auf gar keinen Fall« , sagte Betsy. »Oh, mein Gott, keiner hat eine Mom, die im Krieg ist. Werden die anderen davon erfahren?«
»Ist das deine einzige Sorge?«, fragte Michael.
Die ganze Sache entglitt Jolene.
»Aber du bist doch Mutter !«, schrie Betsy. »Ich brauche dich hier. Was ist, wenn du umkommst?«
»Was?«, sagte Lulu, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Das wird nicht geschehen«, versicherte Jolene mit bemüht ruhiger Stimme. »Ich bin eine Frau. Die dürfen nicht in direkte Kampfhandlungen verwickelt werden. Ich fliege nur VIP s herum und transportiere Materialien. Es besteht keine Gefahr.«
»Das weißt du nicht. Das kannst du nicht wissen«, entgegnete Betsy. »Sag ihnen, dass du nicht gehst. Bitte, Mommy …«
Es zerriss Jolene das Herz, als sie dieses klägliche Mommy hörte. Am liebsten hätte sie Betsy in die Arme genommen und sie getröstet, doch welchen Trost konnte sie ihr bieten? Jetzt mussten sie alle stark sein. »Ich muss. Es ist mein Job«, sagte sie schließlich.
»Wenn du das tust, werde ich dir nie verzeihen«, verkündete Betsy. »Das schwöre ich.«
»Das meinst du nicht so«, erwiderte Jolene.
»Die Armee ist dir wichtiger als wir«, erklärte Betsy.
Neben ihr gab Michael einen Laut von sich. Jolene ignorierte ihn.
»Nein, Bets«, sagte sie leise. »Du und Lulu seid das Licht meines Lebens. Ihr seid die Sonne meines Daseins. Ohne euch hört mein Herz auf zu schlagen. Aber ich muss das tun. Viele berufstätige Mütter müssen ab und zu ihre Kinder allein lassen …«
»Ha!«, schrie Betsy. »Hältst du mich für blöd? Werden diese Mütter vielleicht auf ihren Geschäftsreisen erschossen?«
»Du kommst doch wieder nach Hause, oder, Mommy?«, wollte Lulu wissen und biss sich auf die Unterlippe.
»Natürlich«, antwortete Jolene. »Das bin ich bis jetzt doch immer. Und im November komme ich für zwei Wochen zu euch. Vielleicht könnten wir dann alle nach Disneyland fahren. Würde euch das gefallen?«
»Ich hasse dich.« Betsy rannte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Mila stand langsam auf. Sie
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