Zwischen uns das Meer (German Edition)
die Gewissheit, dass jeder dieser Soldaten ausgebildet und vorbereitet wurde, um dieses Unternehmen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Aber wir alle hier wissen, dass von diesen Soldaten und Ihnen, den Angehörigen, mehr als nur Mut gefordert wird. Ich habe immer wieder das Privileg, mit den tapferen Soldaten unseres Landes zu sprechen, und bei diesen Gelegenheiten stelle ich stets eine Frage: ›Was ist Ihre größte Sorge bei Ihrem Auftrag?‹ Es wird Sie nicht überraschen zu hören, dass ich nicht einmal gehört habe, es sei die Angst um die persönliche Sicherheit. Sie alle machen sich vor allem Sorgen um Sie . Das Schwerste für jeden Soldaten ist, die geliebten Angehörigen zu verlassen.« Der Gouverneur schwieg kurz. »Für uns, die dankbare Nation, gibt es nur ein Wort, das wir der Charlie Company mit auf den Weg geben können: Danke.« Er überflog mit einem Blick die Truppe. »Ihre Bereitschaft, sich in Gefahr zu begeben, um uns hier zu Hause zu schützen, beschämt uns. Wir danken Ihnen und beten um Ihre Sicherheit. Gott segne diese Einheit, und Gott segne Amerika.«
Dann rief ein Soldat: »First Sergeant. Entlassen Sie die Soldaten zu ihren Familien.«
Was als Nächstes gesagt wurde, ging in tosendem Applaus unter. Jubelnd und klatschend sprang das Publikum auf und strömte zu der Truppe.
Michael jedoch konnte sich nicht rühren. Er sah die Soldaten an, die auf der Suche nach ihren Familien an ihm vorbeigingen; nicht einer wirkte, als hätte er Angst. Sie wirkten stolz. Stark. Selbstsicher.
Er sah Jolene und Tami etwas weiter entfernt zusammen kommen. Ein Kamerateam sprach mit ihnen. Als Michael sich ihnen näherte, hörte er die Reporterin sagen: »Zwei beste Freundinnen, die zufällig den gleichen Black Hawk fliegen. Das ist schon etwas Besonderes …«
»So ungewöhnlich ist das nun auch wieder nicht«, erwiderte Jolene. »Entschuldigen Sie mich, Ma’am.« Sie entfernte sich von der Kamera und strebte zu Mila, die sich durch die Menge zu ihr kämpfte.
Wohin Michael auch blickte, sah er Mut und Abschiedsschmerz. Er sah einen Mann in Uniform, der ein kaum einen Monat altes Baby auf dem Arm hielt. Der Soldat starrte mit feuchten Augen auf sein Kind, als stellte er sich vor, welche Veränderungen ihm in diesem kleinen Gesichtchen entgehen würden. Neben ihm umarmte eine schwangere Frau schluchzend ihren Mann und versicherte ihm, dass sie ohne ihn zurechtkommen würde.
Und da war Jolene und umarmte seine Mutter so fest, dass es aussah, als würden sie miteinander verschmelzen.
Lulu löste ihren Griff um seinen Hals. »Beeil dich, Daddy. Sonst ist sie gleich weg.«
Michael ging zu seiner Frau. Mit all dem hatte er nicht gerechnet. Warum bloß? Obwohl er sich etwas auf seine Intelligenz einbildete, war er die ganze Zeit im Irrtum befangen gewesen, blind aus Egoismus, politischer und intellektueller Eitelkeit. Jahrelang hatte er im Fernsehen Berichte über den globalen Krieg gegen den Terrorismus verfolgt, die Bilder von Soldaten in der Wüste gesehen und nur über die politischen Hintergründe, die Massenvernichtungswaffen, über George W.s Kriegserklärung und das Pro und Kontra nachgedacht, bewaffnete Truppen zu entsenden. Er hatte mit Kollegen darüber debattiert – während er sicher und wohl behütet in seinem Land saß. Er hatte über den Preis des Krieges gewettert.
Einen Dreck hatte er gewusst. Hier, in diesem Hangar, war der Preis des Krieges. Familien, die auseinandergerissen wurden, Babys, die geboren wurden, während ein Elternteil im Krieg war, Kinder, die das Gesicht ihrer Mutter vergaßen. Soldaten – manche so alt wie er und manche so jung, dass sie seine Söhne hätten sein können –, die verwundet nach Hause kamen – oder gar nicht mehr.
Seine Frau würde in den Krieg ziehen. In den Krieg. Wie hatte ihm das Wichtigste von allem entgehen können? Sie konnte sterben.
»Atmen«, sagte Jolene sanft.
Michael starrte sie an, und in seinen Augen glitzerten die Tränen, die er zurückzuhalten versuchte. »Wie schaffst du das nur? Ihr alle …«
Lulu beugte sich mit ausgestreckten Armen zu Jolene. »Lass mich nicht allein, Mommy. Ich werde auch immer ganz brav sein. Und nicht mehr unsichbär.«
Jolene nahm ihre Kleine in die Arme und drückte sie heftig an sich. »Du bist das beste Mädchen der Welt, Lucy Lou …« Sie heftete eine goldene Anstecknadel in Form zweier Flügel an Lulus Kostüm. »Immer wenn du den Anstecker ansiehst, weißt du, dass ich an dich denke, Lulu.
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