Zwischen uns das Meer (German Edition)
Augen auf und erbleichte. »Du ruinierst mein Leben!«
»Mommy kommt heute noch nicht nach Hause«, erklärte Lulu und brach in Tränen aus.
»Iss jetzt«, zischte Michael sie an, und zu Betsy sagte er: »Setz dich hin. Auf der Stelle.«
Da hörte er draußen ein krachendes Getriebe und das Tuckern eines alten Motors. Als er durchs Küchenfenster schaute, sah er, wie der gelbe Schulbus an ihrer Einfahrt hielt.
»Ich komme zu spät !«, heulte Betsy auf. »Siehst du?«
Michael rannte zur Hintertür, riss sie auf und brüllte: »Haaalt …«
Aber es war zu spät. Der Bus fuhr schon wieder los.
Michael knallte die Tür zu. »Wann fängt die Schule an? Das stand nicht auf ihrer verdammten Liste!«
Betsy starrte ihn an. »Nicht mal das weißt du?«
»Iss. Dann putzt du dir die Zähne. Wir fahren in zwei Minuten.«
»Zur ersten Stunde gehe ich nicht«, erklärte Betsy. »Auf gar keinen Fall! In dem Seminar ist Zoe. Und Sierra. Wenn die meine Haare sehen …«
»Du gehst zur Schule. Ich muss noch die Fähre kriegen.« Michael sah auf die Wanduhr und verzog das Gesicht. Die Fähre würde er verpassen, was hieß, dass er auch den ersten Termin dieses Tages verpassen würde.
Betsy verschränkte die Arme. »Ich trete in Hungerstreik.«
»Auch gut«, zischte er. »Dann hungerst du eben.« Er schnappte sich das Geschirr und stellte es mit Flocken und Milch in die Spüle. Dann holte er Lulus rosafarbene Gummistiefel aus der Garderobe.
Als er zurück in die Küche kam, war Betsy immer noch da. Sie hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und starrte ihn mit vorgerecktem Kinn und zusammengekniffenen Augen trotzig an.
»Ich werde nicht zu spät kommen. Dann glotzen mich alle an«, verkündete sie.
»Hältst du dich für Madonna? Bloß weil dein Haar nicht sitzt, schwänzt du noch lange nicht die Schule. Hol deinen Rucksack.«
»Nein.«
Er sah sie an. »Hol deinen Rucksack und mach dich fertig, Betsy, sonst werde ich dich eigenhändig zur ersten Stunde zerren.«
Entsetzt riss Betsy den Mund auf und presste dann die Lippen zusammen. »Was soll’s! Dann geh ich eben!«
Michael schaute von der Küche aus ins Familienzimmer, wo Lulu zusammengerollt mit ihrer Decke und einem Stoff-Orca auf der Couch lag und sich Jolenes Gutenachtvideo anguckte. »Lulu, komm, ich will dir deine Stiefel anziehen. Lulu. Komm her.«
»Sie hat den Haarreif an«, bemerkte Betsy vorwurfsvoll.
Michael marschierte ins Familienzimmer und hob Lulu hoch. Dabei rutschte ihr der Haarreif vom Kopf.
»Ich bin unsichbär!«, schrie sie.
Er trug seine schreiende und um sich tretende Tochter zum Wagen und schnallte sie an. Betsy nahm schweigend und mit finsterer Miene neben ihr Platz.
Lulu brach in Tränen aus. »Ich will meine Mommy zurück!«
»Ja, ja«, sagte Michael und startete den Motor. »Wollen wir das nicht alle?«
In der ersten Woche ohne Jolene wurde Michael fast wahnsinnig. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie viel Arbeit der Haushalt und die Kinder bedeuteten. Hätte seine Mutter nicht so viel Energie gehabt, dann hätte er eine Haushälterin einstellen müssen. Vollzeit! Jetzt rettete sie ihm das Leben, gar keine Frage. Jolene hatte Lulu in einer Kindertagesstätte angemeldet, die bis vier Uhr geöffnet hatte. Daher konnte seine Mutter bis dahin arbeiten. Dann holte sie Lulu ab und kam noch rechtzeitig bei ihnen zu Hause an, dass Betsy niemals ein leeres Haus vorfand – das war eine von Jolenes strengsten Regeln. Wenn Michael um sechs nach Hause kam, hatte seine Mutter normalerweise bereits mit dem Abendessen angefangen und etwas Wäsche gewaschen. Damit nahm sie ihm einen großen Teil der Last ab.
Trotzdem schlug er sich mehr schlecht als recht. Betsy war wie eine Furie; er konnte niemals voraussagen, wie sie auf etwas reagieren würde. Sie konnte über etwas völlig Belangloses in Tränen ausbrechen, aber fünf Minuten später fuchsteufelswild werden. Mit Lulu hatte er es auch nicht leichter. Mittlerweile trug sie fast ständig ihre schäbigen grauen Katzenohren und schwor, sie würde »unsichbär« bleiben, bis Jolene nach Hause kam. Wenn Michael das ignorierte und sie trotzdem hochhob, schrie sie wie eine Banshee und schluchzte, sie würde ihre Mommy vermissen.
Und dann war da noch der Fall Keller, der sich langsam zu einer Katastrophe zu entwickeln drohte. Keith hatte immer noch kein Wort gesagt, nicht mal zu seinem vom Gericht gestellten Psychiater. Michael hatte auf das Recht seines Klienten auf zügige Ansetzung des Prozesses
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