Zwischen uns das Meer (German Edition)
geöffneten Tür des Helikopters Aufstellung und salutierten ihren gefallenen Kameraden ein letztes Mal.
Jolene fragte sich, wer diese toten Soldaten waren. Ehemänner? Väter? Mütter? Wussten ihre Familien bereits, dass sich ihr ganzes Leben geändert hatte?
Jolene und Tami nickten einander zu und kletterten in den Hubschrauber. Tami saß heute auf dem Pilotensitz. Sie beugte sich vor und steckte das weiße Schild für die Heldenmission an die Windschutzscheibe.
Jolene schnallte sich auf dem rechten Sitz an und bereitete alles zum Abflug vor. Die Türen des Helikopters wurden geschlossen. Kurz darauf hoben sie in einer Wolke aus beigefarbenem Sand ab.
Unter ihnen wurden die Soldaten immer kleiner.
Auf dem Weg zum Flughafen in Bagdad war die Crew still, wie immer auf Heldenmission. Der Tod lastete schwer auf ihnen. In den vergangenen Monaten waren die Gefechte heftiger geworden. Mittlerweile war es normal, angeschossen und getroffen zu werden. Im Schlaf hörte Jolene oft, wie ihr Hubschrauber von einer Maschinengewehrsalve getroffen wurde, und fuhr schreiend auf. In der Woche zuvor war eine Kugel direkt neben ihrem Kopf in die Windschutzscheibe eingeschlagen und von ihrem Helm abgeprallt. Sie hatte den Aufprall gespürt und war weitergeflogen. Erst später bekam sie Alpträume davon, träumte, wie ihr Kopf explodierte und ihre Leiche zu ihren Kindern in einem schwarzen Sack zurückkam, der dreißig Zentimeter zu kurz war.
Als sie endlich wieder Balad erreichten, war Jolene zu Tode erschöpft. Sie schlief seit Wochen nicht mehr gut, und langsam forderte der Schlafentzug seinen Tribut. Sie konnte sich nicht erinnern, wann es zuletzt eine Nacht ohne Beschuss gegeben hatte. Sie verschlief zwar den Mörsereinschlag, wachte aber von der Alarmsirene auf.
Nach ihrer Mission schwärmte das Wartungsteam zum Helikopter, um ihn durchzuchecken. Jolene und ihre Crew entfernten sich. In dieser düsteren Nacht gab es keinen Platz für einen Plausch oder ein Stückchen Kuchen in der DFAC. Jeder von ihnen dachte daran, wie dünn der Faden war, an dem ihrer aller Leben hing.
»Alles okay, Tami?«, fragte Jolene, als sie ihren Wohnwagen erreicht hatten.
Tami blieb stehen. »Nein. Wirklich nicht.«
Sie betraten den Wohnwagen. Tami betätigte einen Schalter, worauf das Neonlicht an der Decke anging und den kleinen Raum erhellte. Alle Wände waren mit Familienfotos bedeckt – und einem Filmposter mit Johnny Depp im Film Fluch der Karibik.
Tami setzte sich auf ihr Bett. Es sackte in der Mitte ein, und eine Staubwolke stieg aus der olivgrünen Bettwäsche auf. Die Sirene ging los.
Jolene hörte, wie jemand an ihrem Wohnwagen vorbeirannte. Sie setzte sich auf ihr Bett gegenüber von Tamis.
Irgendwo explodierte etwas; das Licht im Wohnwagen flackerte kurz, blieb aber an.
Als die Sirene verstummte und die Welt wieder still wurde, fuhr Tami fort, als wäre nichts gewesen: »Carl hat erzählt, dass es Seth schwer hat. Die Kinder machen sich wegen uns über ihn lustig. Ich hab richtig Lust, ein paar von denen in den Arsch zu treten.«
»Michael sagt, den Mädchen ginge es gut.«
Tami blickte auf. »Du erzählst ihm ja auch nicht die Wahrheit.«
»Wir reden kaum miteinander. Er hat mir nicht eine E-Mail geschickt.« Jolene beugte sich vor und schnürte ihre Boots auf.
»Du kriegst einmal die Woche ein Care-Paket. Wer kauft wohl all die Sachen und gibt sie zur Post?«
»Darf ich raten? Mila. Und die Mädchen.«
»Hast du ihm denn geschrieben?«
Jolene seufzte. »Du weißt genau, dass ich das nicht getan habe. Was soll ich denn schreiben?«
»Vielleicht denkt er dasselbe.«
»Aber ich hab nicht gesagt, dass ich mich trennen will.«
»Willst du wirklich von hier aus solche Spielchen spielen?«
»Ich hab nicht damit angefangen.«
»Und wenn schon! Denk mal dran, was wir heute getan haben.« Sie schnippte mit den Fingern. »So schnell entscheidet sich, ob du tot oder lebendig bist, Jo.« Sie schnippte erneut mit den Fingern. »Tot. Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt für Spielchen, sondern für die Wahrheit. Deine Eltern waren Versager, die dir schlimme seelische Verletzungen zugefügt haben. Das verstehe ich, wirklich. Aber du musst jetzt den Mut haben, mit deinem Mann zu reden, sonst werdet ihr beide alles verlieren.«
»Du hast leicht reden, Tami. Dein Mann liebt dich.«
»Es ist nicht leicht, Jolene. Nichts von all dem hier ist leicht, das weißt du. Michael liebt dich«, fügte Tami hinzu. »Ganz sicher.«
»Nein.
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