Zwischen uns das Meer (German Edition)
einsam fühlst. Die Middle School ist nicht immer leicht, vor allem für ein Mädchen, das sich um seine Mom sorgt und Probleme mit den Freundinnen hat. Das Leben ist ein Chaos – vor allem jetzt –, aber es wird besser, wenn Du das akzeptierst und zulässt. Hab keine Angst, mit Sierra über das zu sprechen, was Dich belastet. Oder mit Seth. Oder mit Deinem Dad. Man weiß nie, wer genau das zu einem sagt, was man hören muss. Und vergiss nicht, dass eine Freundin einem durch die schlimmsten Zeiten helfen kann. Ich muss es wissen, denn Tami hilft mir hier, jeden Tag zu überstehen.
Eines ist mir hier, in der Ferne, klargeworden: wie glücklich wir sind, einander zu haben.
Ich liebe euch beide. Bis zum Mond und wieder zurück.
Mom
Michael lehnte sich zurück. Ich liebe euch … beide .
Natürlich hatte er das verdient, aber es tat trotzdem weh. Er hatte gedacht, sein Brief würde etwas verändern, doch warum? Ein einziger Brief – der zudem noch so spät kam – konnte kaum den Schaden wiedergutmachen.
»Michael?«, fragte seine Mutter, die gerade ins Arbeitszimmer gekommen war.
Langsam drehte er sich um. Sein Schreibtischstuhl quietschte. »Hier ist ein Brief von Jo. Die Mädchen werden ihn morgen lesen wollen.«
»Komm mal mit«, bat sie.
Er folgte ihr ins Familienzimmer, wo sie sich in einen Sessel am Fenster setzte. Er ließ sich in die weichen Polster des Sofas sinken. Zwischen ihnen stand ein antiker Couchtisch – Jolenes erstes Lasur-Projekt –, hellblau und übersät vom Allerlei einer Familie. Ein Stift, zwei Fotos in billigen Rahmen, ein mickriger Kerzenhalter aus Ton und eine ungelesene Zeitschrift. Wenn Jolene hier gewesen wäre, wäre es ordentlicher.
»Du musst stark sein für deine Mädchen«, sagte seine Mutter. »Für alle drei.«
»Bevor sie aufbrach«, begann er und wusste schon bei der Formulierung, dass er es eigentlich nicht aussprechen durfte, weil seine Mutter sich für ihn schämen würde, »bevor sie aufbrach, hab ich ihr gesagt, ich wollte unsere Ehe aufgeben.«
Seiner Mutter entgleisten die Gesichtszüge. »Mit diesem Wissen ist sie gegangen?«
»Ja.«
»Ach, Michael.« Sie seufzte schwer. »Ich kam schon ins Grübeln. Ihre Briefe …«
»Sind nur für die Mädchen. Ja.«
»Tja. Du bist natürlich ein Narr. Aber in Sachen Liebe machen wir uns alle zum Narren. Dein Vater und ich hatten schließlich auch unsere Probleme. Einmal ist er sogar ausgezogen – für ein halbes Jahr! Damals warst du noch klein. Ich hab mich entschuldigt. Und gewartet. Das ist eine lange und mittlerweile unwichtige Geschichte, aber entscheidend war: Er kam zurück, und ich nahm ihn auf. Wir fanden einen Weg, wieder glücklich zu werden. Also werdet ihr das auch.« Sie erhob sich aus dem Sessel und trat um den Couchtisch herum. Dann setzte sie sich aufs Sofa, legte ihm einen Arm um die Schultern, zog ihn an sich und beruhigte ihn, wie nur eine Mutter es kann. »Ich kümmere mich um die Mädchen. Du fliegst zu ihr, Michael.«
Eine lange Zeit saßen sie einfach nur zusammen. Irgendwann schlief seine Mutter ein. Michael deckte sie mit einer ihrer handgestrickten Decken zu und tigerte dann durch das stille Haus. Immer wieder sah er nach seinen Töchtern, stand an der Türschwelle ihres Zimmers, beobachtete sie im Schlaf und dachte voller Schrecken an das Leben, in das sie morgen erwachen würden. Da er selbst nicht schlafen konnte, fing er um fünf Uhr morgens an, Kaffee zu trinken – hauptsächlich, weil er vor Müdigkeit ständig stolperte, gegen etwas stieß oder Sachen umwarf. Manchmal blitzte das Bild einer lächelnden Jolene vor seinem inneren Auge auf, und dann war er kurzzeitig wie geblendet und stieß gegen einen Stuhl oder warf ein Familienfoto um.
Als die Türklingel ertönte, schrak er auf und merkte, dass er am Küchentisch eingeschlafen war. Unsicher stand er auf und ging öffnen.
Vor der Tür standen drei Fremde, die sich als Jolenes Kameraden von der Nationalgarde vorstellten und ihre Hilfe anboten. Michael sah, dass ein Wagen in Carls und Tamis Einfahrt einbog. Sicher waren das drei weitere Soldaten, die helfen wollten.
Michael versuchte sie loszuwerden und führte sie, als es ihm nicht gelang, ins Familienzimmer, wo sie an einer Wand Aufstellung nahmen. Sie erklärten, sie seien zu allem bereit: die Kinder in die Schule bringen, Lebensmittel einkaufen, Rasen mähen.
»Ma?« Michael beugte sich über seine schlafende Mutter.
»Wie?« Benommen setzte sie sich auf.
»Hier sind
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