Zwischen uns die halbe Welt: Sommerflirt 2 (German Edition)
»Becky?«, frage ich nach. Die Alternative ist absolut lächerlich.
»Bicky«, wiederholt er.
»Bicky?«
»Jetzt hast du wieder dieses Barbie-Getue drauf.«
Ich übergehe seine Beleidigung. »Ist das ihr richtiger Name oder ein Spitzname?«
Nathan steht vom Bett auf und nimmt mir das Bild aus der Hand. »Sie heißt Bicky. Kein Spitzname. Einfach Bicky.«
Während er das Foto in seinen halb geöffneten Koffer stopft, sage ich: »Du wirfst mir so einen Mist, von wegen ich wäre so barbiemäßig, an den Kopf, während du hirnrissige Gerüchte über mich streust, um dich wichtig zu machen.«
»Das habe ich nicht«, sagt er. »Und ich will mich bestimmt nicht bei deinen Freunden anbiedern, wenn es das ist, was du meinst.«
»Du hast Kyle erzählt, ich hätte mich bei einer Partnervermittlung angemeldet. Nur zu deiner Information – nicht, dass es dich irgendetwas anginge –, ich habe meinen Dad angemeldet.«
Nathan zuckt die Achseln, als wäre es keine große Sache, meinen Ruf mit gezielten Fehlinformationen zu ruinieren.
»Was hast du eigentlich gegen mich?«
Er fährt mit der Hand durch seine wirren hellbraunen Haare, die von der Farbe her an Ahornsirup erinnern, und seufzt. »Es geht nicht gegen dich persönlich, Amy. Ich kann nur so Leute wie dich nicht ab.«
»Das kommt aufs selbe raus«, sage ich und stürme aus dem Zimmer. Als ich in unsere Wohnung stampfe, sitzt mein Dad am Esstisch. Er telefoniert noch immer und wühlt in irgendwelchen Unterlagen.
Männer. Das schreit nach Rache. Ich gehe in unser kleines Arbeitszimmer, in dem der Computer steht, und tippe www.pjsn.com ein. Ich werde aufgefordert, meinen Benutzernamen und mein Passwort einzugeben.
Fünfundfünfzig neue Leute, die Dad eine Nachricht geschrieben haben, und die zwei Frauen, die ich auf einen Kaffee eingeladen habe, haben auch geantwortet. Wow. Kelly, die Personalerin, würde liebend gern einen Kaffee trinken gehen. Und Wendy, die Anwältin, schreibt, dass sie einen Amerikaner sucht und nicht interessiert ist.
Auch recht. Ich wollte sowieso keine Anwältin als Stiefmutter. Anwälte befolgen sklavisch alle Regeln und Verbote. Das ist nicht mein Stil. Ich liebe die Grauzonen.
Ich maile der Personalfrau zurück und schlage morgen Abend um sieben ein Treffen mit mir (sprich meinem Dad) im Perk Me Up! vor.
Als ich mich im Stuhl zurücklehne, dringt ein Rascheln aus meiner Gesäßtasche. Oh mein Gott! Nicht zu fassen, aber bei all der Aufregung wegen Nathan und meinem Dad habe ich Avis Brief ganz vergessen. Ist das ein Verrat an unserer Beziehung?
Ich logge mich schnell aus und mache, dass ich in mein Zimmer komme. Gemütlich auf mein Bett gekuschelt, streiche ich den Umschlag glatt und öffne den Brief.
»Entschuldige, Avi.« Er kann mich nicht hören, aber vielleicht hört es mein Gewissen.
Als ich den Brief auseinanderfalte, beginnt mein Herz zu rasen.
Amy,
Du weißt, dass ich nicht gut mit Briefen bin, aber ich habe Dir versprochen zu schreiben, und daran halte ich mich auch. Ich werde an einen neuen Armeestützpunkt versetzt, aber ich darf Dir nicht sagen, wohin. Das ist streng geheim. Dafür kann ich Dir berichten, dass ich heute mit einem neuen Gewehr geschossen habe. Ich weiß, dass Du Waffen hasst, aber die war echt cool. Mit der kann man um die Ecke schießen. Jeden Tag rennen wir, bis mir fast die Beine abfallen. Morgen wird meine Einheit mitten in der Nacht in der Wüste Negev abgesetzt, um zu testen, ob wir in der Lage sind, uns allein, nur anhand der Sterne, in der Wüste zu orientieren. Ja, mehr gibt es nicht zu berichten. Sollte ich das Wüstentraining überleben, lasse ich wieder von mir hören. Ich vermisse Dich, das weißt Du doch, oder?
Avi
Ich drücke den Brief an meine Brust und konzentriere mich auf den letzten Satz. Ich vermisse dich, das weißt du doch, oder? Avi steht nicht so auf Kitsch. Er ist auf der Hut, weil er bei einem Bombenanschlag seinen Bruder verloren hat. Seitdem ist er ziemlich verschlossen, er will nicht verletzlich sein und seine Trauer zulassen. Außerdem möchte er nicht, dass ich die ganze Zeit nur auf ihn warte, während er wie vorgeschrieben seine drei Jahre in der israelischen Armee dient. Deshalb schreibt er auch keine romantischen, schmalzigen Briefe.
So einen romantischen, schmalzigen Typ will ich sowieso nicht. Ich will Avi. Ja, ich weiß, ich werde ihn erst wiedersehen, wenn ich im Sommer nach Israel fliege. Ich erwarte nicht, dass er auf mich wartet. Na gut – tue ich doch.
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