Zwischen uns die halbe Welt: Sommerflirt 2 (German Edition)
bisschen zu unheimlich.
Mom probiert ein großes weißes Shirt mit einem Pfeil darauf an, der nach unten zeigt. Oben drüber steht Zukünftiger Arzt . »Was meinst du?«, fragt sie und breitet die Arme aus, damit ich es gut sehen kann.
»Ich finde es spaßbefreit.«
»Spaßbefreit?«, wiederholt sie und runzelt verwirrt die Stirn. »Ein neues Wort, das ich noch nicht kenne?«
»Du weißt schon … wie albern, uncool, unlustig.«
»Ist dieses hier auch witzbefreit?«
Ich sage ihr nicht, dass es spaßbefreit heißt und nicht witzbefreit .
Jetzt hält sie eins hoch, auf dem Fast fertig aufgedruckt ist.
»Du kannst es schon nehmen, Mom, aber ich werde mich nicht mit dir in der Öffentlichkeit zeigen, wenn du es trägst. Haben sie keins, auf dem Peinliche Mutter steht?
»Das muss ich im Regal übersehen haben«, zieht sie mich auf.
Am Ende entscheidet sie sich für einen Hosenanzug, ein Kleid, zwei Jeans und drei T-Shirts ohne Aufdruck. Echt, ich schwöre: Ehe meine Mom geheiratet und ihren Job aufgegeben hat, war sie immer gekleidet wie die Models aus der Vogue und war stets auf dem neuesten Stand. Alles, was ich über Mode weiß, habe ich von ihr gelernt. Jetzt hat meine Mom keinen Schimmer mehr, was man trägt. Hoffentlich ändert sich das wieder, wenn das Baby auf der Welt ist.
»Bleibst du zum Abendessen?«, fragt sie auf dem Heimweg.
»Tut mir leid, aber ich habe keine Zeit. Ich gehe mit Jessica zu irgendeiner jüdischen Jugendgruppe.«
»Bist du dir sicher, dass das mit dem Judentum das Richtige für dich ist, Amy? Marc und ich haben uns vor Kurzem darüber unterhalten, und wir können dein plötzliches Interesse, einer Religionsgemeinschaft beizutreten, nicht nachvollziehen.«
Mom versteht nicht, dass mich mein Israel-Aufenthalt letzten Sommer verändert hat. Es ist, als hätte ich ein fehlendes Stück von mir gefunden. Es ist nur ein kleines Puzzleteilchen, aber immer wenn ich so eins entdecke, habe ich das Gefühl, mir näherzukommen, mich selbst zu finden. »Das ist nicht plötzlich, Mom.«
»Was sagt dein Vater dazu? Soweit ich weiß, ist er selbst nicht sonderlich religiös.«
Ich sehe aus dem Fenster und versuche mich zusammenzureißen, damit ich keinen Streit anfange. Den jüdischen Glauben anzunehmen, ist mir wirklich wichtig. Es hat nichts mit meinem Dad oder meiner Mom zu tun, sondern ausschließlich und allein mit mir. Zu argumentieren und ihr meine Sichtweise zu erklären, damit sie mich besser versteht, ist sinnlos. Meine Mom hat ihre eigene Meinung über institutionalisierte Religion und die teile ich nun mal nicht.
Als Safta mir einen Anhänger in Form eines Davidsterns geschenkt hat, überkam mich auf einmal ein Gefühl, das mir ganz und gar neu war. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit anderen Menschen, das ich vorher gar nicht gekannt hatte. Und als ich den Berg von Masada bestiegen habe, hat mich die Erkenntnis mit voller Wucht getroffen: Mein Dad ist Jude, also bin ich auch zur Hälfte Jüdin. Diese Tatsache zu ignorieren, kam mir auf einmal vor, als würde ich einen Teil meiner selbst verleugnen. Ich gebe zu, im Judentum unterwiesen zu werden und die hebräische Bibel zu lesen (oder vielmehr die Thora und etwas über all die Propheten zu lernen), ist kein Pappenstiel. Und um ehrlich zu sein, bin ich nicht immer komplett damit einverstanden, was in der Thora steht, und verstehe auch nicht alles.
Rabbi Glassman ermutigt uns, darüber zu diskutieren, sogar dazu, anderer Meinung zu sein. Das ist für mich perfekt, weil ich von Natur aus gern dagegen bin. Ich hinterfrage alles, zum Beispiel warum Abraham ernsthaft vorhatte, seinen Sohn zu töten. Und es ist auch offensichtlich, dass die Bibel von Männern geschrieben wurde (sie ist ein wenig männerzentriert, wenn ich so sagen darf). Aber sind die Geschichten wirklich wahr oder sind sie erfunden?
»Dad unterstützt mich.«
»Aber wenn dein Vater Jude ist, können sie dich dann nicht auch einfach so als Jüdin anerkennen? Mir kommt es albern vor, dass du erst monatelang unterwiesen werden musst –«
»Keiner zwingt mich dazu, Mom.« Sie kapiert es einfach nicht. »Ich muss nicht konvertieren, ich will konvertieren. Können wir es bitte dabei belassen?«
Mom zuckt die Achseln. »Ist ja schon gut. Ich möchte doch nur, dass du glücklich bist.«
»Dann hör auf, mich mit dem Thema Religion zu nerven. Nerv mich lieber mit was anderem.«
Mom sieht mich von der Seite an und lächelt. Ups, das hätte ich nicht sagen sollen. Denn
Weitere Kostenlose Bücher