Zwischen uns die Zeit (German Edition)
beeindruckt, als Bennett mir die Tür des glänzenden Jeep Grand Cherokee aufhält. Nicht dass ich nicht daran gewöhnt wäre– eigentlich fahren alle meine Mitschüler an der Westlake Academy Autos, die sich normale Jugendliche niemals leisten könnten.
» Er gehört Maggie.«
Der Wagen riecht nach Leder und neuem Kunststoff und ist so sauber und aufgeräumt, als käme er direkt aus dem Autohaus. Nachdem ich eingestiegen bin, schließt Bennett die Tür, geht um das Fahrzeug herum, setzt sich hinters Steuer und lässt den Motor an, der wie eine Raubkatze schnurrt. » Bist du bereit?«, fragt er, während er sich anschnallt.
» Ja, klar«, sage ich. » Wo geht’s denn hin?«
» Wir machen einen kleinen Ausflug. Mehr verrate ich noch nicht.« Er blickt über die Schulter und setzt rückwärts aus der Einfahrt.
» Mit dem Auto? Wie weit fahren wir?«
» Hin und zurück ungefähr jeweils drei Stunden.«
» Oh, ganz schön weit. Warum reisen wir nicht einfach… du weißt schon…« Ich schnipse mit den Fingern, als wäre das die universelle Geste für Zeitreisen.
» Bist du etwa schon so verwöhnt?«, lacht Bennett, während er den Wagen durch die Straßen unseres Viertels auf die Interstate Richtung Norden lenkt. Er wirft mir einen amüsierten Blick von der Seite zu. » Erstens haben wir beim Fahren viel Zeit zum Reden, zweitens habe ich, seit ich in Evanston bin, noch so gut wie nichts vom Umland gesehen und drittens wollte ich einfach mal etwas ganz Normales mit dir unternehmen, das nichts mit meiner seltsamen kleinen Gabe zu tun hat.«
» Du bist der Boss«, antworte ich lächelnd, obwohl ich insgeheim ein klitzekleines bisschen enttäuscht bin.
Aber dann genieße ich einfach die gemeinsame Zeit mit ihm, während wir uns über alles Mögliche unterhalten und Musik hören. Als wir gut drei Stunden später die Ausfahrt zum Devil’s Lake State Park nehmen, ist von meiner Enttäuschung nichts mehr zu spüren. Neugierig auf das, was kommen wird, steige ich aus, nachdem Bennett den Wagen auf einem kleinen Waldparkplatz abgestellt hat. Ich folge ihm zum Kofferraum, in dem zwei prall gefüllte rote Rucksäcke liegen.
» Was ist das?«, frage ich überrascht.
» Zwei Rucksäcke«, gibt Bennett grinsend zurück.
» Was du nichts sagst.« Ich lache. » Ich meine, wofür sind die?«
» Einen bekommst du, den anderen nehme ich.«
» Aha. Und was ist da drin?«
» In deinem ist unser Mittagessen, ein Paar Schuhe und ein Komplettgurt. Den Rest der Ausrüstung habe ich in meinen Rucksack gepackt.«
» Den Rest der Ausrüstung?«
» Na ja, Seile, Karabinerhaken…«
» Hast du mich den ganzen weiten Weg hierhergebracht, um mich zu fesseln und umzubringen?«
» Vertrau mir einfach, Anna. Du wirst begeistert sein.«
» Aha. Und wovon genau werde ich begeistert sein?«
» Na, vom Klettern.«
Mir entfährt ein nervöses Kichern. Klettern. Ausgerechnet eine der Sportarten, bei denen man keinen festen Boden unter den Füßen hat. Aber woher sollte er auch wissen, dass ich unter Höhenangst leide?
Bennett, der mein Unbehagen offensichtlich spürt, klopft mir aufmunternd auf den Rücken. » Du trainierst jeden Tag, bist top in Form. Glaub mir, du wirst es toll finden.« Dann hilft er mir, den Rucksack aufzusetzen, hievt sich anschließend seinen auf die Schultern, greift nach meiner Hand und zieht mich gut gelaunt auf einen Pfad zu, der als Wanderweg gekennzeichnet ist. Wehmütig denke ich an den Café au Lait, den ich am Ufer der Seine mit ihm zu trinken gehofft hatte.
Wir wandern eine Weile schweigend einen schmalen Waldweg entlang, bis wir nach etwa einem Kilometer am Fuß eines, wie ich finde, extrem hohen Felsens ankommen, den Bennett für » ideal« erklärt. Mir wird schon schwindlig, wenn ich nur daran hochschaue.
Mit routiniertem Griff schnallt er seinen Rucksack ab, bedeutet mir, das Gleiche zu tun, und fängt an, die Ausrüstung auszupacken. Beklommen sehe ich zu, wie er die Schuhe wechselt, in eine Art Geschirr aus Stoffgurten steigt und sich ein zusammengerolltes Seil um den Körper hängt. Dann wirft er mir ein lächelndes » Bin gleich wieder da« zu und beginnt geschickt die Felswand hochzuklettern. Oben angekommen, zieht er sich über den Rand und verschwindet aus meinem Blickfeld. Als er nach ein paar Minuten immer noch nicht wieder aufgetaucht ist, werde ich allmählich nervös und frage mich, ob er mich womöglich hier unten vergessen hat. » Alles okay da oben?«, rufe ich.
Bennetts Kopf
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