Zwischen uns die Zeit (German Edition)
neben mir sagen. Dann legt er einen Finger unter mein Kinn und dreht meinen Kopf sanft in seine Richtung, damit ich ihn ansehe. » Ich weiß, ich hätte es dir erzählen sollen.«
» Darum geht es doch gar nicht.« Ich mache mich los, starre auf meine Füße und versuche meine Gedanken zu sortieren. Ich kann ihm verzeihen, dass er es mir nicht erzählt hat, weil ich es irgendwie sogar fast verstehe. Worüber ich nicht hinwegkomme, ist die Tatsache, dass er es getan hat. Dass er mir meinen freien Willen gestohlen hat.
» Worum denn dann?«
» Verstehst du denn nicht? Du hast die Macht, in das Leben anderer Menschen einzugreifen und es zu verändern. Du kannst mein Leben verändern, Bennett. Und das meine ich jetzt nicht in einem kitschig-romantischen Sinn, sondern wortwörtlich. An dem Abend, an dem du unseren Kuss rückgängig gemacht hast, hast du mein Leben verändert, ohne mir eine Wahl zu lassen. Du hast eine Grenze überschritten, Bennett, und das macht mir Angst.«
» Du hast Emma auch keine Wahl gelassen. Genauso wenig wie Justin. Wir haben sie nicht erst um Erlaubnis gebeten, bevor wir ihr Leben verändert haben.«
» Das ist etwas völlig anderes.«
» Nein, ist es nicht. Wir haben beide keine Ahnung, was an dem Tag sonst noch alles passiert ist, bis sie auf die Kreuzung fuhren und von dem anderen Wagen getroffen wurden. Vielleicht hat einer von ihnen etwas getan oder gesagt, das für den weiteren Verlauf ihres Lebens wichtig gewesen wäre, und wir haben es einfach ausgelöscht. Wir haben ihr Leben geändert. Aber wir haben es getan, weil wir glaubten, das Richtige zu tun. Wir wollten sie davor bewahren, verletzt zu werden. Aus genau demselben Grund habe ich unseren Kuss ungeschehen gemacht.«
» Falls ich dich erinnern darf, hast du dich anfangs strikt geweigert, den Unfall ungeschehen zu machen, und es mit deinen eisernen Regeln begründet. Aber die gelten wohl nur, wenn es dir gerade in den Kram passt.«
» Ich wollte dich schützen.«
» Du kannst mich nicht immer vor allem schützen.«
» Siehst du, genau darum geht es mir. Vor manchen Dingen kann ich dich sehr wohl schützen. Und das werde ich auch weiterhin tun. Selbst wenn es bedeutet, dass ich dich anlügen oder dir etwas verschweigen muss.«
Ich bringe es nicht über mich, ihn anzusehen, und halte den Blick weiter auf die Wellen gerichtet, die über den Kiesstrand schäumen und sich wieder zurückziehen. » Ich will nicht, dass du mich beschützt, Bennett. Jedenfalls nicht so. Dass du diese besonderen Fähigkeiten besitzt, bedeutet nicht, dass du bestimmen kannst, welche Erfahrungen ich in meinem Leben mache. Du kannst nicht entscheiden, was ich wissen soll und was nicht, was ich fühlen soll und was nicht. So funktioniert das nicht.«
» Das ist mir selbst klar, aber als ich unseren Kuss ausgelöscht habe, da war alles noch ein bisschen anders als jetzt. Damals habe ich noch versucht, möglichst wenig Kontakte zu knüpfen und mich von allen an der Schule und im Ort fernzuhalten. Ich wollte mich nicht auf dich einlassen.«
Ich werfe ihm einen verletzten Blick zu.
» Jetzt will ich es«, sagt er ruhig. » Jetzt will ich es sogar sehr.«
Eine ganze Weile lang sagt keiner von uns etwas.
» Ich habe es seitdem nicht mehr getan, Anna«, flüstert er schließlich mit rauer Stimme. » Und ich werde es nie wieder tun. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Er sieht mir tief in die Augen, und ich spüre, dass er vollkommen aufrichtig ist und sich wünscht, wir könnten das Gespräch damit beenden. Trotzdem habe ich immer noch das Gefühl, dass er nicht wirklich versteht, wie sehr mich das, was er getan hat, verletzt hat und dass er damit eine Grenze übertreten hat, von der ich nie geglaubt hätte, sie festlegen zu müssen. Erst recht nicht für ihn.
» Kannst du dich noch daran erinnern, wie du zu mir gesagt hast, dass ich mich entscheiden muss– für oder gegen dich?«, frage ich. » Du hast mir alle deine Geheimnisse anvertraut und ich durfte hinterher die Entscheidung treffen, ob ich mit dir zusammen sein will oder nicht.«
Er blickt aufs Meer hinaus und nickt stumm.
» Das hat mir unheimlich viel bedeutet– die Tatsache, dass du mir die Wahl gelassen hast, meine ich. Und genau das macht es für mich so schwer, zu begreifen, warum du in diesem Fall geglaubt hast, die Entscheidung für mich treffen zu müssen.«
» Das war ein Fehler.«
» Ein Fehler, durch den wir…«, meine Stimme versagt und ich muss Luft holen, um weiterreden zu
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