Zwischen uns die Zeit (German Edition)
mir die Tränen in die Augen steigen, und versuche sie mit aller Macht zurückzukämpfen. » Kapierst du denn nicht, Bennett? Wie soll ich dir jemals vertrauen können, wenn ich mich ständig fragen muss, ob das, was ich gerade mit dir erlebe, schon mal passiert ist? Du könntest jetzt einfach rausgehen, zwanzig Minuten in der Zeit zurückreisen und dich noch mal zu mir ins Bett legen und wild mit mir rumknutschen und ich wäre völlig ahnungslos. Allein bei der Vorstellung wird mir speiübel.«
Er senkt den Blick, und als er ihn wieder hebt, liegt ein flehender Ausdruck darin. » Ich habe es nur dieses eine Mal getan und danach nie wieder. Bitte, Anna, das musst du mir glauben. Ich war verwirrt und hatte Angst vor den Konsequenzen. Aber das war, bevor du mein ganzes Geheimnis gekannt hast, bevor ich wusste, ob du überhaupt damit klarkommen wirst.« Er holt einmal tief Luft. » Und bevor ich wusste, dass ich unbedingt mit dir zusammen sein will.«
Ich denke an die Wochen zurück, in denen ich mich jeden Tag in Spanisch gefragt habe, warum er mich nicht einmal mehr ansieht. Warum ich mich so stark zu jemandem hingezogen fühle, der es anscheinend nicht erträgt, auch nur in meiner Nähe zu sein. » Und dass dieser Abend, den du über meinen Kopf hinweg einfach ungeschehen gemacht hast, der Abend war, an dem ich die Entscheidung getroffen habe, dass ich mit dir zusammen sein will, spielt dann wohl keine Rolle?«, sage ich verletzt.
Es ist still im Zimmer. Ich sehe Bennett an.
» Doch, natürlich. Nur…« Bennett verstummt und starrt eine Weile schweigend vor sich hin. » Ich habe einen Fehler gemacht«, räumt er schließlich ein und sieht mich wieder an. » Einen großen Fehler. Und es tut mir unglaublich leid. Aber es war nur dieses eine Mal, Anna. Und ich schwöre, dass ich es nicht noch mal tun würde.«
Ich spüre, wie meine Wut langsam verpufft und einer entsetzlichen Leere und Traurigkeit weicht. » Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst«, sage ich leise.
» Anna…«
» Ich meine es ernst, Bennett. Bitte geh.«
Ich schlinge die Arme noch ein bisschen fester um meine Knie, um die Kälte zu vertreiben, die plötzlich in mir hochkriecht, und lege den Kopf darauf. Nachdem es einen Moment lang totenstill im Zimmer war, spüre ich, wie die Matratze sich hebt. Als ich aufschaue, steht Bennett vor meinem Bett und sieht mich mit einem unendlich traurigen Ausdruck in den Augen an, bevor er sie schließt, durchsichtig wird und verschwindet.
27
Für Anfang Mai ist es morgens immer noch ziemlich kühl, und ich bereue es kurz, zum Laufen meine dünne Windjacke angezogen und Mütze und Handschuhe zu Hause gelassen zu haben. Aber nach ein paar Minuten ist mir bereits warm geworden, und auch der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz trägt heute nur Shorts und ein langärmliges T-Shirt statt seiner Weste, sodass ich ihn im ersten Moment gar nicht erkenne, als er mir freundlich zuwinkt. Ich erwidere seinen Gruß mit einem Lächeln, dabei ist mir eher zum Heulen zumute. Die Frühlingssonne scheint, die Natur treibt grüne Triebe und zarte Knospen, aber in mir herrscht nach Bennetts Besuch von gestern Abend immer noch Weltuntergangsstimmung. Im Stadion angekommen, erhöhe ich mein Tempo, versuche meiner Wut und Enttäuschung einfach davonzulaufen, erreiche damit jedoch lediglich, dass meine Beine mit jeder Runde schwerer werden und am Ende höllisch brennen.
Als ich zur fünften Stunde in Señor Argottas Klassenraum trete, sitzt Bennett schon an seinem Platz. Ich weiche seinem Blick aus, gehe hoch erhobenen Hauptes zu meinem Tisch, setze mich und krame geschäftig in meinem Rucksack. Als Señor Argotta uns ein paar Minuten später den Rücken zukehrt, um ein paar unregelmäßige Verbformen an die Tafel zu schreiben, spüre ich eine Berührung an der Schulter. Ich drehe mich um, greife zögernd nach dem zusammengefalteten Zettel, den Bennett mir hinhält, und öffne ihn.
Wir müssen reden.
Ich schüttle trotzig den Kopf und knülle das Papier zu einer kleinen Kugel zusammen.
Kurz darauf wendet sich Señor Argotta wieder der Klasse zu, und die nächsten zehn Minuten verbringen wir damit, die unregelmäßigen Verben in der Gruppe durchzukonjugieren. Als er sich erneut zur Tafel dreht, wirft Bennet mir den nächsten Zettel auf den Tisch.
Es tut mir wirklich leid. Ich schwöre, es wird NIE WIEDER vorkommen.
Ohne mich noch einmal nach ihm umzusehen, stehe ich auf, gehe zu Señor Argotta vor und bitte ihn, kurz auf
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