Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)
Männerbeine, vertraut bis auf die lange Narbe, die sich rechts bis zur Wade hinunter zog.
Er kniff sich ins Bein, bis es wehtat, um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Und traute sich kaum, die Augen zu schließen, aus Angst, es könnte alles verschwunden sein, wenn er sie wieder aufschlug.
Hin- und hergerissen zwischen Furcht und Hoffnung, probierte er es aus. Und wieder traf ihn fast der Schlag, als er die Lider hob: Er konnte sehen! Leicht verschwommen noch, aber es ging.
Vor Aufregung zitterte er am ganzen Körper. Es war unfassbar, ein Wunder! Er musste es sofort jemandem mitteilen. Chloe. Sie würde begeistert sein.
Voller Enthusiasmus drehte er sich zu ihr um, die freudige Botschaft schon auf den Lippen. Doch alles, was er herausbrachte, war ein ungläubiges Keuchen.
Das darf doch nicht wahr sein.
Verstört musterte er die Frau, die schlafend in seinem Bett lag. Ihr feines ovales Gesicht trug den rosigen Hauch und das verträumte Lächeln einer erfüllten Liebesnacht. Schön geschwungene hellbraune Augenbrauen wölbten sich über ihren geschlossenen Lidern, lange dunkle Wimpern überschatteten ihren pfirsichzarten Teint. Ihre Lippen waren prall und sinnlich, die Haut um ihren Mund herum und ihr Hals gerötet von seinen Küssen und seinen Bartstoppeln.
Die Hände zu Fäusten geballt, betrachtete er ihre schmale Nase, ihr zierliches Kinn und die Flut rotblonder Locken, die wie Gold im Sonnenlicht schimmerte.
Verzweifelt schloss er die Augen. Es konnte nicht wahr sein. Unmöglich.
Doch er wusste es besser, noch ehe er die Augen wieder aufschlug. Ein letzter Blick, und er sprang aus dem Bett. Die Freude über sein zurückgekehrtes Sehvermögen wurde verdrängt vom Schock des Wiedererkennens.
Ihr Foto war es, das er auf Adrians Handy gesehen hatte. Ihr verführerisches Lächeln hatte ihn wochenlang in seinen Träumen verfolgt. Sie war die geheimnisvolle Unbekannte, deren Identität er seit Adrians Tod aufzudecken versuchte.
Kein Wunder, dass der Detektiv sie nicht gefunden hatte. Sie war kein Gast in Carinya gewesen, sie gehörte zum Haushalt.
Chloe. Die Geliebte seines Bruders.
Er bekam eine Gänsehaut, als ihm die volle Tragweite dieser Entdeckung aufging. Chloe war es, die Adrian bezirzt und dann eiskalt abserviert hatte. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie ihr Verrat seinen Bruder in den Tod getrieben hatte.
Nein, er konnte es nicht glauben. Es musste ein böser Traum sein.
Chloe gehörte doch ihm. Sie war etwas Besonderes. Ihr war es gelungen, seinen bitteren Zynismus und sein Misstrauen, hervorgerufen durch eine intrigante, habgierige Exgeliebte, zu durchbrechen. Sie hatte ihn gelehrt, wieder zu vertrauen, hatte ihm zur Seite gestanden, als er schwach war …
Schwach und verletzlich.
Allmählich setzte sein Verstand wieder ein. Ein eisiger Schauer durchlief ihn, als er die Zusammenhänge begriff. Hatte Adrian nicht gesagt, sie habe es auf einen reichen Mann abgesehen? Und war er nicht einer der reichsten in ganz Australien?
7. KAPITEL
Chloe erwachte vom knatternden Lärm eines Hubschraubers. Es stahl sich in ihre glückseligen Träume von Declan. Suchend streckte sie die Hand nach ihm aus, doch das Bett neben ihr war leer.
Der Lärm der Rotorblätter schien den ganzen Raum auszufüllen. Anscheinend war der Helikopter irgendwo auf dem Grundstück gelandet. Schläfrig schlug sie die Augen auf. Die Sonne stand hoch am Himmel, es musste bereits früher Nachmittag sein.
Von einer plötzlichen Unruhe ergriffen, sprang sie aus dem Bett. Nur um festzustellen, dass ihr nach der langen heißen Liebesnacht noch immer die Knie zitterten. Einer Nacht, wie Chloe sie nie zuvor erlebt hatte, auch nicht in der allerersten Verliebtheitsphase mit Mark.
Sie warf sich ihren Kimono über.
„Declan?“ Keine Antwort aus dem angrenzenden Badezimmer. Er musste hinausgegangen sein, um die Ankömmlinge zu begrüßen.
Wie peinlich, wenn jemand Fremdes sie leicht bekleidet aus Declans Schlafzimmer kommen sähe! In der Hitze der Leidenschaft hatte es keine gesellschaftlichen Schranken zwischen ihnen gegeben, doch sie hatten nicht darüber gesprochen, wie es weitergehen sollte.
Sie wünschte, er wäre da, um ihr beizustehen. Sie fühlte sich ihm so nah. In der letzten Nacht hatte sich alles entladen, was sich während der vergangenen Wochen an Spannung zwischen ihnen aufgebaut hatte.
Zu erfahren, dass seine Verletzungen von dem vergeblichen Versuch herrührten, seinen Bruder zu retten, hatte Chloe
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