Zwischenwelten (German Edition)
der Sohn von der Maile?«
»Kivan.« Tio nickt. »Ich hab ständig Streit mit ihm, er ist ein Kotzbrocken.« Darf er so was frei heraus sagen? Was halten die Salzländer aus Sandbach von der Maile und ihrer Familie? Haben sie nichts damit am Hut, oder haben sie insgeheim doch Ehrfurcht vor ihr? Aber Valpa beruhigt ihn mit den Worten: »Oh, das wundert mich nicht. Er ist weit und breit als Nichtsnutz und Schmarotzer bekannt. Scheint in den meisten vornehmen Familien vorzukommen. Da gibt es immer ein Söhnchen, das nichts taugt.« Er sieht Kivan unbekümmert in das hochmütige Gesicht.
Es sieht ganz so aus, als ob Kivan, der nur ein paar Meter von Valpa entfernt steht, sich völlig darüber im Klaren wäre, was der Mann von ihm denkt. Mit angespannten Kinnmuskeln und wütendem Gesicht stößt er seine Kumpane in den Rücken, damit sie ihm folgen. Sie schlendern zu einer hölzernen Balustrade und lassen sich dort häuslich nieder. Von da aus können sie den Kahn gut im Auge behalten, und genau das haben sie offenbar auch vor.
»Jetzt müssen wir hierbleiben«, flüstert Micky Tio ins Ohr. »Solange die da hocken, gehe ich nicht von diesem Schiff runter! Dann müssen wir dummerweise wieder ganz bis nach Sandbach zurückfahren, obwohl wir doch eigentlich hier sein müssten, verdammt.« Sie denkt kurz nach. »Wir können vielleicht früher aussteigen, vom Boot runter, wenn es früher hält … du weißt schon. Also nicht ganz bis nach Sandbach, sondern nur auf die andere Seite vom Fluss oder zu den kleinen Fischerhäuschen ein Stück weiter. Und dann laufen wir von dort zurück.«
Tio nickt. Er erinnert sich von seiner letzten Fahrt mit dem Boot, dass man den alten Fischer bitten kann anzuhalten, wo man will, vorausgesetzt, dass es einen Anleger am Ufer gibt.
Valpa kümmert sich eine Weile um seine Pfeife und anschließend um die Taue.
Tio und Micky setzen sich auf eine Bank und schauen unbehaglich zu Kivan und seinen Kumpanen hinüber.
»Ich hoffe nur, dass die rechtzeitig zum Essen zu Hause sein müssen«, stöhnt Micky. »Sonst fahren wir wirklich ab, und bis wir zurück sind, haben die Schalter, wo wir bezahlen müssen, vielleicht schon geschlossen. Dann können wir morgen wieder von vorne anfangen.« Als sie von Weitem jemanden kommen sieht, richtet sie sich auf.
Eine große schlanke Frau in Runjikleidung geht zielbewusst über den Anleger auf Valpas Boot zu.
»Mensch!«, ruft Micky überrascht. Sie springt auf und geht zu Valpa. »Ist das die Kundin, auf die Sie warten?« Sie deutet auf die Frau.
Valpa schaut auf. »Ja, das müsste sie sein. Wird auch Zeit.«
»Setzen Sie sie bei dem Anleger am rechten Ufer ab?«
»Ja, richtig.«
Micky nickt erfreut und kommt zu Tio zurück, der verwundert sieht, dass ihre Augen fröhlich funkeln. »Jemand, den du kennst?« Er beugt sich über die Reling und schaut neugierig nach unten. Die Frau hat sich inzwischen der Laufplanke genähert. »He, warte, die hab ich auch schon mal gesehen.«
»Das ist Kenta!«, flüstert Micky aufgeregt.
»Der Name sagt mir nichts.« Tio denkt kurz nach. »Jetzt weiß ich es wieder. Sie war auch auf dem Boot, als Ayse und ich mit Valpa hergefahren sind.« Aber warum ist Micky so begeistert, sie zu sehen? »Musst du sie nicht begrüßen, wenn du sie kennst?«
»Pst«, sagt Micky. »Im Moment noch nicht.« Sie bleibt stocksteif stehen, als die Frau an Bord kommt, und schaut weder auf noch um sich. Mit völlig desinteressierter Miene beugt sie sich lässig über die Reling und spuckt wie ein Rüpel zwischen Boot und Anleger ins Wasser.
»So, dann können wir ablegen!«, ruft Valpa und macht sich an die Arbeit.
Die Taue werden gelöst, die Laufplanke wird eingezogen und die geheimnisvolle Energieversorgung, die alle Fahrzeuge in Salzland und eben auch dieses Boot antreibt, in Gang gebracht.
»Zu spät.« Tio seufzt.
»Für was?«, fragt Micky.
Tio schaut sie missbilligend an. »Wir wollten doch gar nicht weg von hier. Hast du das vergessen?« Er schlägt wütend auf die Reling. »Aber wir kommen nicht an dem Pack da vorbei. Und jetzt ist es zu spät, wir sind schon unterwegs. Also dauert es noch länger.«
»Auf jeden Fall fahren wir nicht den ganzen Weg zurück bis Sandbach«, besänftigt ihn Micky.
Tio mustert die Frau, die gerade an Bord gekommen ist, noch einmal gründlich. Ihr Kopf ist kahl wie bei jedem anderen Runji auch, und sie trägt die schimmernde Kleidung des Fischvolks. Auch ihr Blick ist so hochmütig wie der von
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