Zwischenwelten (German Edition)
und schweigt.
Buba stochert mit einem Stock im Feuer. Goldene Funken stieben nach allen Seiten auf.
»He«, erklingt eine Stimme hinter Tio, »seid ihr auch vorsichtig?« Tio schaut sich um. Es ist sein Vater, und er hat offenbar vor, sich zu ihnen zu setzen. Tio knurrt etwas Unverständliches.
»Darf ich?«, fragt sein Vater und zeigt auf den Boden neben Buba. »Wir haben das Lagefeuer bemerkt, Maxim und ich, und es sah so behaglich aus. Da haben wir die Idee gehabt, ein kleines Fest zu machen. Maxim holt was zu essen von seinem Gebäckstand und schaut, ob noch mehr Leute Lust haben.« Tios Vater zaubert ein paar Bierdosen hervor. Er bietet Buba eine an, doch der schüttelt den Kopf und hebt eine große gläserne Korbflasche aus dem Gras, zieht den Korken raus und nimmt einen Schluck. Dann gibt er sie an Tio weiter. »Honigsüß«, sagt Buba, nickt ihm zu und lacht leise und verschwörerisch.
Dankbar für das heimliche Einverständnis, nimmt Tio die Flasche und versucht, seine Enttäuschung mit einem kräftigen Schluck hinunterzuspülen. Lieber wäre er mit Buba allein geblieben, ohne die ganze Kirmesgesellschaft um sie herum. Er hatte dem geheimnisvollen Mann mehr erzählen und ihm Fragen stellen wollen, aber das ist jetzt unmöglich.
Er sieht Maxim kommen und hinter ihm seine Mutter Seraphina. Oh, das würde wohl mächtig gemütlich werden, denkt Tio, als er die Flasche Pflaumenlikör entdeckt, die die alte Frau bei sich hat. Morgen früh werden sie alle schlechte Laune und Kopfschmerzen haben. Die Krapfen von Maxim lässt sich Tio aber schmecken, und als noch mehr Leute auftauchen, sieht er, dass nahezu jeder etwas für das Fest mitgebracht hat.
Ein Weile starrt Tio in die Flammen. »Ist es denn sicher?«, fragt er dann und sieht Buba mit zusammengekniffenen Augen an. Er hofft, dass der Mann neben ihm begreift, dass er nicht die aufsteigenden Funken meint. »Oder kann es echt gefährlich werden?«
Buba antwortet: »Ich bin nie weit weg.«
»Natürlich ist es sicher, mein Kleiner.« Tios Vater lacht und klopft seinem Sohn beruhigend aufs Knie. »Wir sind doch alle dabei, und wir passen auf. Schau, da steht auch ein Eimer mit Wasser.«
Tio sieht seinen Vater genervt an und wendet sich wieder Buba zu. »Und wenn doch nicht?«
»Wenn du vorsichtig bist«, sagt Buba und blickt Tio einen kurzen Moment durchdringend an.
Tio nickt und versucht, ihm wortlos, nur mit seinen Augen zu bedeuten, dass er sich nicht so ohne Weiteres in Gefahr stürzen wird. Dann täuscht er ein Gähnen vor und stößt seinen Vater mit dem Ellbogen in die Seite. »Flip, ich geh schlafen.« Er rappelt sich auf und stakst los. »Vielleicht drehe ich noch eine Runde über den Platz«, ruft er seinem Vater aus ein paar Metern Entfernung zu für den Fall, dass er länger wegbleibt als geplant und sein Vater zum Wagen kommt und er nicht da ist.
Es wäre praktisch, genau zu wissen, wie viel Zeit hier verstreicht, wenn dort ein ganzer Tag vergeht. Das hätten sie eigentlich schon längst ausrechnen müssen. Ein paar Stunden in Sandbach sollten genügen, um das herauszufinden. Er will dorthin, mit oder ohne Ayse, und einfach schnell nachsehen, ob sich etwas verändert hat.
Tio blinzelt in das helle Licht. Es wird gefiltert vom Laub der Bäume, aber es ist doch ein großer Sprung von der dunklen Nacht am Lagerfeuer zu dem sonnendurchfluteten Wald.
Er seufzt tief, nimmt all seinen Mut zusammen und macht sich allein auf den Weg. Wie lange haben sie normalerweise von hier bis Sandbach gebraucht? Weiter als Sandbach will er nicht gehen, auch noch nach Terrasse würde zu lange dauern. Vielleicht kann er schnell bei Sirje vorbeischauen, um zu fragen, ob die Kürbisernte noch geglückt ist. Aber nein … das ist natürlich schon lange her. Er ist einen ganzen Tag lang nicht hier gewesen, für Sirje sind vielleicht schon Monate vergangen. Gespannt geht er weiter.
Am Waldrand angekommen, bleibt er stehen. Bestürzt starrt er auf die Wasserfläche, die sich vor ihm erstreckt. Die Überschwemmungen, erinnert er sich. Er hat sich nicht vorstellen können, dass es so schlimm sein würde. Vielleicht waren sie dieses Mal extrem gewesen? Ob Sirjes Familie auf so etwas vorbereitet gewesen ist? Mit wachsender Unruhe geht er eilig den Weg weiter, der diesmal nicht zwischen grünen Weiden verläuft, sondern an beiden Seiten von morastigen Tümpeln begrenzt wird. Ein einsamer kleiner Baum, der die Sintflut überlebt hat, steht mit traurig hängenden Ästen
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