Zwischenwelten (German Edition)
helfen. Kommt ihr bald wieder vorbei?«
»Wobei musst du helfen?«, fragt Ayse.
»Bei der Kürbisernte natürlich!«, ruft Sirje. »Die Kürbisse müssen vom Acker. Wenn wir sie im Wasser liegen lassen, verfaulen sie. Hoffentlich reifen sie auf dem Dachboden ein bisschen nach, denn eigentlich müssten sie noch auf dem Acker bleiben. Na ja, das klappt meistens nicht, wir haben immer eine Überschwemmung, bevor sie richtig reif sind. Und die Gänse müssen rein, die Hühner auch, und die Ziegen müssen in den Stall. Es hat schon Überschwemmungen gegeben, bei denen Tiere ganz elend ertrunken sind. Mein Vater sagt, die verdammten Runji müssen endlich mit dem Bauen aufhören. Die machen es immer schlimmer.«
Ayse und Tio werfen sich einen Blick zu.
»Die verdammten Runji müssen mit viel mehr Sachen aufhören als nur mit Bauen«, murmelt Tio wütend.
Sie verabschieden sich von Sirje, und bedrückt legen sie die letzten Kilometer bis zur Kiste zurück.
»Wird es sich hier denn nie ändern?«, fragt sich Ayse laut, als sie wenig später durch die Kiste geschlüpft sind und wieder in der Dunkelheit hinter der Bühne stehen.
»Wo, hier?«
»Da.« Ayse zeigt vage auf die Kiste. »Bei den Runji und den Salzländern.«
»Hoffentlich doch. Vielleicht auf einem anderen Level?«
»Wann gehen wir nachsehen?«, fragt Ayse sofort. »Morgen? Aber ich muss jetzt wirklich nach Hause, wahrscheinlich komme ich schon zu spät zum Abendessen. Ach, Mist, und ich muss mich ja noch umziehen. Ich krieg von meinen Eltern bestimmt ein riesiges Donnerwetter zu hören.«
»Übersteh es gut!«
»Ich komme morgen so um zehn Uhr wieder«, verspricht Ayse.
Tio bummelt missmutig an den Wagen und Zelten vorbei.
Er hat die letzte Vorstellung hinter sich. Sie hatten heute sechs, und er hat sie alle – ungeduldig, gelangweilt und letzten Endes beunruhigt – durchgestanden.
Ayse ist den ganzen Tag nicht aufgetaucht. Ob sie wohl Hausarrest hat? Vielleicht, weil sie gestern Abend viel zu spät nach Hause gekommen ist? Sie wird doch nicht plötzlich beschlossen haben, nicht mehr durch die Kiste und in die seltsame Welt zu gehen? Nein, das kann er sich nicht vorstellen. Sie ist ganz sicher genauso neugierig wie er auf die neuen Welten, die sie dort erwarten.
Ein aufflackerndes Lagerfeuer zieht seine Aufmerksamkeit auf sich.
Als er näher kommt, sieht er, dass es Buba ist, der das Feuer mit vielen kleinen Zweigen füttert. Aus irgendeinem Grund hatte Tio das bereits vermutet, denn er hat noch nie vorher jemanden von der Wanderbühne auf den Plätzen, die ihnen zugewiesen wurden, ein Feuer machen sehen. Buba bricht mit seinen starken Händen einen Ast mitten durch, und bevor er das eine Stück ins Feuer legt, schaut er kurz hoch. Heute Abend trägt er seine dunkle Sonnenbrille nicht, und der scharfe Blick aus seinen funkelnden Augen bohrt sich in Tios.
Tio macht sich gar nicht erst die Mühe zu fragen, ob er sich dazusetzen kann. Er geht in die Knie und lässt sich im Schneidersitz neben dem Mann im trockenen Gras nieder. »Darfst du das?«, fragt er und zeigt auf das Feuer.
Buba schaut sich gleichmütig um, dann lächelt er Tio an. »Siehst du irgendwo einen Polizisten?« Er zeigt auf den Kranz von Steinen, den er um das Feuer gelegt hat. »Es ist sicher, und da vorne ist ein Wassergraben, aus dem ich es nachher wieder ordentlich löschen kann.«
»Dann ist ja gut.« Tio lächelt auch. Eine Weile blickt er in die Flammen und sagt dann: »Wir sind Micky begegnet. Hugo ist immer noch verschwunden.«
Buba sagt nichts.
»Ayse hat bei den Runji im Gefängnis gesessen. Zum Glück nicht lange. Die sind vielleicht ein seltsames Volk, die Runji.« Er runzelt finster die Stirn und fügt hinzu: »Und gar nicht so ungefährlich.«
Auch dazu sagt Buba nichts.
»Trotzdem haben Ayse und ich für heute verabredet, wieder zurückzugehen«, redet Tio weiter, »aber sie ist nicht aufgetaucht. Vielleicht durfte sie nicht von zu Hause weg, oder vielleicht musste sie auch irgendwo hin. Ich hoffe aber, dass sie morgen wieder kommt. Ich fände es total schade, wenn …« Er beißt sich auf die Lippe. »Ich kann natürlich auch alleine gehen und nachsehen …« Fragend schaut er Buba an. »Aber das wäre doch nicht dasselbe. Ich kann zwar Micky suchen, aber wer weiß, in welcher Welt die inzwischen steckt. Kann sein, dass ich sie nirgends finde, und möglicherweise laufe ich auch noch dem verrückten Hugo über den Weg.« Er hört sich selbst schwatzen
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