Zwischenwelten (German Edition)
unsicher an.
Um etwas zu tun zu haben, pult Tio sich ein Erdnussstückchen zwischen den Schneidezähnen hervor, räuspert sich und fängt wieder an: »Gestern Abend hab ich zweimal hintereinander den Trick mit dem Verschwinden vorgeführt. Da ist nichts Komisches passiert.«
»Als ich gestern im Bett lag, war ich sicher, dass ich alles nur geträumt hab«, sagt Ayse.
»Aber das kann nicht sein.« Tio zuckt mit den Schultern. »Es sei denn, ich hätte genau dasselbe geträumt.«
»Was wolltest du über Buba sagen?«
Tio erzählt, was er auf dem Stück Pappe gelesen hat. Dieselben Worte, die auf dem Spiegel standen. »Deshalb hab ich auf einmal gedacht, dass er vielleicht was damit zu tun hat. Nicht, dass ich ihn nicht mag oder so. Ich glaube, er ist richtig nett. Er bringt uns bei, wie man Bändchen knüpft, er bietet uns Tee an … Aber es ist doch merkwürdig – zufällig genau dieselben Worte. Und ich weiß nicht, aber … na ja, all seine bunten Klamotten und der Stand mit dem ganzen Glitzerkram und der süßliche Geruch in seinen Kleidern … da ist irgendwas wie Zauberei um ihn herum.«
Ayse steht auf. »Kann ich mir die Kiste noch mal ansehen?«
»Natürlich«, sagt Tio.
»Aber ich will nicht rein!«
»Musst du ja auch nicht.«
Die Kiste ist immer noch dieselbe Kiste.
»Die sieht ganz normal aus, so wie immer. Und ich hab dir ja gesagt: Gestern Abend hab ich den Trick zweimal gemacht, ohne dass was Ungewöhnliches passiert ist. Und guck, innen ist auch nichts Auffälliges zu sehen.«
»Ja, aber wo waren wir dann gestern? Ich verstehe das einfach nicht.«
»Das war eine Art Traum. Oder Albtraum.«
»Und wenn es nun wirklich Buba ist, der uns verzaubert? Aber warum sollte er das machen?« Ayse runzelt die Stirn. »Würdest du dich noch mal trauen?«, fragt sie plötzlich. Sie scheint über ihren eigenen Vorschlag zu erschrecken und tritt schnell einen Schritt von der Kiste zurück.
»Na, trauen schon«, antwortet Tio. »Ich hab es doch gestern Abend auch getan.«
»He, vielleicht liegt es an mir und passiert nur, wenn ich dabei bin.«
»Wir hatten hier mal einen Hypnotiseur«, erinnert sich Tio. »Hier bei der Wanderbühne. Der konnte die Leute die verrücktesten Dinge tun lassen und ihnen alles weismachen. Vielleicht macht es Buba mit uns auch so. Er hypnotisiert uns, und deshalb denken wir, dass wir was Verrücktes erleben.«
»Und da kann er uns beide dasselbe erleben lassen?«, meint Ayse ungläubig.
»Also«, sagt Tio und streckt sich, »wenn das alles ist, einfach nur so eine Art Hypnose … dann kann es nicht gefährlich sein. Dann ist es nicht gefährlich, denn es ist nicht echt. Dann können wir es gut noch mal ausprobieren.«
»Zumindest schauen, ob wir noch einmal dahin kommen.« Zögernd setzt Ayse einen Fuß in die schwarze Kiste. »Bist du sicher, dass es nicht gefährlich ist?«
Tio gibt Ayse einen leichten Schubs in den Rücken.
»Lass das!«, sagt sie giftig und fuchtelt mit dem Arm durch die Luft, um Tio abzuwehren. »Sonst sitze ich gleich noch alleine in … He, was ist das?« Sie lässt ihre Finger über das Holz gleiten. »Hier ist ein Zettel.« Ayse zieht den Zettel ab, der am Boden der Kiste haftet. »Sind das deine Anweisungen für die Show?«
»Ich brauche keine Anweisungen mehr. Ich führe den Trick jetzt schon drei Jahre vor. Ich komme in ein paar Sekunden hier durch …«, Tio stößt Ayse wieder in den Rücken, »… und hier wieder raus.« Er blickt sich um. »Ha, es hat geklappt! Wir sind wieder im Wald. Nur … jetzt ist hier nicht Nacht.«
Ayse klammert sich mit einer Hand ängstlich am Rand der Kiste fest. Sie will so schnell wie möglich wieder zurück. In der anderen Hand hält sie den Zettel, den sie aus der Kiste mitgenommen hat. Langsam liest sie die Zeilen. Nein, das sind keine Anweisungen, das ist ein ganz kurzes Gedicht:
Gibt es ein Wir,
dann gibt’s auch ein Ihr.
Ayse liest es laut vor. »Hast du dir das ausgedacht?«
Tio gibt keine Antwort und blickt nur auf den Zettel in ihrer Hand.
»Ich hab dich was gefragt.«
»Äh, ja … hm, nein«, stammelt Tio. »Das ist dieselbe Handschrift«, erklärt er dann. »Die Handschrift von heute Morgen auf dem Stück Pappe. Und vielleicht auch die vom Spiegel. Da hab ich nur nicht so drauf geachtet. Ich hab gedacht, dass mein Vater … Also wetten, dass Buba so eine Art Hypnotiseur ist! Die Wörter vom Spiegel und von der Pappe: Wir, Ihr.« Er tippt mit dem Finger auf den Zettel in Ayses
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