Zwoelf Schritte
denn es könne nicht schaden, wenn wir beide auf den Meetings seien, um den bestmöglichen Überblick zu gewinnen. Ihre Stimme klingt in meinen Ohren nicht überzeugend, und in meinem Inneren macht sich neben dem Ärger ein Gefühl der Ablehnung breit. Ich verabschiede mich kurz angebunden und lege auf. Am liebsten würde ich schreien. Nachdem ich einige Male im Zimmer auf und ab gegangen bin und an Bier und Wodka gedacht habe, versuche ich mich darauf zu konzentrieren, was ich tun könnte, damit es mir bessergeht. Vielleicht sollte ich etwas essen. Da im Fernsehen nichts Spannendes läuft, ziehe ich wieder meinen Mantel an und beschließe, zu Fríða und den anderen ins Café zu gehen. Auf dem Weg dorthin merke ich, dass es die richtige Entscheidung war. Es ist erfrischend, wenn der Wind einem durch die Haare fährt und man, wie beim Schwimmen bei hohem Wellengang, nach Luft schnappen muss, weil eine Bö einen direkt ins Gesicht trifft.
Im Café ist es heiß. Die Gruppe sitzt in derselben Ecke wie beim letzten Mal. Außer Fríða kenne ich niemanden, aber zumindest kommen mir einige Gesichter bekannt vor. Ich werde wie der verlorene Sohn begrüßt und samt einem Teebecher zwischen einen jungen Mann, der mir noch nie aufgefallen ist, und Fríða platziert.
«Wir haben gerade über ein Gerücht gesprochen, das sich wie ein Lauffeuer in den AA -Gruppen ausbreitet», bezieht mich Fríða ins Gespräch ein.
«So?» Vorsichtig trinke ich von meinem heißen Tee.
«Ja, du weißt doch, dass Jón Ágúst Karlsson, der Architekt, neulich ermordet wurde.»
«Ja.»
«Und jetzt heißt es, dass noch ein AA -Mitglied ermordet wurde.»
«Ach so», antworte ich unschuldig, als ob ich davon zum ersten Mal höre. Es ist unangenehm, fast so, als würde ich lügen. So muss sich Iðunn oft fühlen, wenn sie Informationen hat, die sie nicht weitergeben darf. Der Gedanke an Iðunn macht mich erneut wütend, und als eine Art Rache richte ich meine Aufmerksamkeit auf Fríða, atme den Duft ihres Haares ein, wenn sie lachend den Kopf schüttelt. Allmählich löst sich die Runde auf, aber ich bleibe wie festgewachsen sitzen. Ich will nicht nach Hause zu den negativen Gedanken, dem Schwimmzeug, das ich nicht aufgehängt habe, und dem Berg von schmutzigem Geschirr. Die Vorstellung, wie die Wohnung aussieht, raubt mir alle Kraft, und anstatt mich zusammenzureißen und aufzuräumen, möchte ich mich auf der Stelle hinlegen und einschlafen und alles Unangenehme vergessen und in einer sauberen Wohnung aufwachen, mit frischer Wäsche, der fertig übersetzten Liebesgeschichte und Iðunn an meiner Seite. Oder Fríða, denke ich plötzlich, und der Ärger auf Iðunn scheint das aufkeimende Schuldgefühl auszuschalten, wenn ich andere Frauen anschaue. Es ist nicht mehr so, als seien wir noch verheiratet. Wir haben das Treueversprechen gelöst, und ein leidenschaftlicher Abend reicht offensichtlich nicht aus, irgendwelche Verträge zu erneuern. Fríða und ich sind die Letzten, und weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, greife ich zu einer AA -Phrase:
«Warum bestellen wir uns nicht einfach noch einen Tee, und du erzählst mir, wie du warst, was passiert ist und wie du heute bist.»
«Okay.» Sie lächelt, und ich winke dem Kellner. «Ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll.» Sie räuspert sich. «Ich bin mit Alkoholismus aufgewachsen; mein Vater war Quartalssäufer und betrank sich drei-, viermal im Jahr. Er lud in der ganzen Stadt Leute zum Essen und zum Trinken ein, saß in allen Mittagsbars, kaufte sich schicke Kleidung und ging ins Theater. Aber er endete immer zu Hause auf dem Sofa, die neuen Kleider waren zerrissen, und er war blutig, weil er sich geprügelt hatte. Aus seinen Freunden waren Feinde geworden, und das Geld war aufgebraucht. Meine Mutter und wir Kinder halfen ihn auszunüchtern, indem wir die Drinks verdünnten und ihm am dritten Tag schließlich nur noch Pilsner gaben und versuchten, ihn zum Essen zu bewegen. Dann folgte die depressive Phase, die etwa zwei Wochen dauerte, und danach war er wieder der gute alte Papa. Dann machte er mit uns Sonntagsausflüge mit dem Auto und kaufte uns Eis, werkelte am Haus herum und zwickte Mama in der Küche in den Po. Aber nach einigen Monaten als guter alter Papa wurde er zunehmend gereizter und schwieriger, war genervt von allem, als ob er das Leben überhätte und vor allem uns. Dann begann das Theater von vorne. Mama bat uns, leise zu sein, um ihn nicht zu verärgern.
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